Bankgeheimnisse
merkte, daß er sie zu lange angestarrt hatte. Sie stand bereits an seinem Tisch, unmittelbar vor ihm. Ohne Hast erhob er sich und reichte ihr die Hand. Sie hatte einen festen, geübten Händedruck, weder zu kurz noch zu lang. Er überraschte sie, indem er ihre Hand etwas zu sich heranzog, sich leicht darüber neigte und einen Handkuß andeutete. »Gnädige Frau. Ich entbiete Ihnen mein herzlichstes Willkommen.« Bombastische Worte, aber ein ungekünstelter Ton. Er wußte, daß mit dieser Mischung die beste Wirkung zu erzielen war. Er wartete einige Augenblicke, ließ die entscheidenden ersten Worte einsickern, dann wandte er sich ihren Begleitern zu. »Leo, mein Junge, schön, Sie zu sehen. Machen Sie mich bitte bekannt.« Leo reagierte mit seiner üblichen Gewandtheit.
Sie nahmen an dem runden Tisch Platz. Johanna saß Amery gegenüber, Leo setzte sich auf den Stuhl zu ihrer Rechten. Wiking nahm den Stuhl links von ihr. Bevor sie eine Konversation beginnen konnten, trafen Strass und Helmberg im Abstand von einer halben Minute ein und gesellten sich zu ihnen. Strass hatte sich neu einkleiden lassen. Der mattschwarze Smoking kaschierte seinen Bauch einigermaßen. Gegen das Dreifachkinn konnte allerdings alle Schneiderkunst nichts ausrichten. Er hatte in der Bar bereits zwei Aufmunterungscocktails zu sich genommen und wirkte entsprechend aufgekratzt. Amery warf ihm einen tödlichen Blick zu. Strass senkte die Augen und setzte sich auf den freien Platz neben ihn, nachdem Amery ihn den anderen als seinen Sekretär vorgestellt hatte.
Helmberg blieb neben dem Tisch stehen und wußte nicht, wohin mit seinen Händen. Er knetete sie und starrte Amery nervös an. Seine unsicheren Bewegungen und sein linkisches Gehabe ließen ihn trotz seines gutgeschnittenen italienischen Anzugs wie einen zu alt geratenen Konfirmanden wirken. Er blinzelte fortwährend mit wäßrigen Augen. Die eulenartige Brille hatte er gegen Kontaktlinsen vertauscht. Diesmal übernahm Wiking die Vorstellung. Amery erhob sich nur halb, drückte Helmberg kurz die Hand und setzte sich wieder. Helmberg ließ sich erleichtert auf den letzten freien Stuhl sinken.
Amery eröffnete die Unterhaltung. Er hielt die Rangordnung ein, sprach zuerst Wiking an. Sie tauschten einige Belanglosigkeiten über das Ritz aus. Wiking hatte bereits bei früheren Parisbesuchen hier logiert und konnte daher mitreden. Die übrigen hörten der Unterhaltung zu, ohne sich einzumischen. Die Atmosphäre war leicht gespannt, aufgeladen von Erwartung.
Johanna stellte fest, daß die ihnen am nächsten stehenden Tische unbesetzt waren. Offensichtlich legte Amery Wert auf Diskretion. Die Ausstattung des Restaurants war von barocker Pracht. An den Wänden schimmerte vergoldeter Stuck im Licht elektrischer Lüsterkerzen, und die verspiegelten Flächen daneben vervielfältigten den Raum zu unendlichen, glitzernden Tiefen.
Amery sprach ein reines Hochdeutsch. Seine Stimme war angenehm und sonor. Er erzählte von César Ritz, der das Hotel 1898 gegründet hatte, kommentierte kenntnisreich die Schrullen illustrer Persönlichkeiten, die hier residiert hatten, und pries den unaufdringlichen Service im Ritz.
Johanna musterte ihn unauffällig. Er ähnelte einem in Würden ergrauten Hollywoodstar, dessen Name ihr nicht einfiel. Silbergraue, buschige Brauen, regelmäßige, attraktiv gebräunte Züge, weißblitzende Zähne unter einem schmalen, sauber gestutzten Schnurrbart. Heller Leinenanzug in einem Stil, der an die Kolonialherren zu Anfang des Jahrhunderts in Afrika oder Asien erinnerte. Rein äußerlich wies er alle Insignien eines reichen, kultivierten Grandseigneurs auf.
Anders als Helmberg blieb sie jedoch gelassen. Zu den von ihr persönlich betreuten Stiftungskunden gehörten einige der reichsten Menschen der Welt. Sie wohnten in Luxusvillen, fuhren Luxuswagen und trugen Luxuskleidung, doch Johanna hatte schnell gelernt, daß sich hinter diesen Fassaden völlig normale Menschen verbargen. Einige waren exzentrisch, aber die meisten unterschieden sich in nichts von anderen Leuten. Sie hatten dieselben Beziehungsprobleme, hatten Schwierigkeiten mit ihrer Verdauung, wurden krank, litten und lachten. Sie ermöglichten Johanna Einblicke in ihr Leben, redeten über ihre Sorgen und Freuden. Die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung war mehr als ein geschäftlicher Vorgang. Als altruistischer Akt offenbarte sie Motive, legte schonungslos Charaktere und Persönlichkeiten bloß. Die meisten
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