Bankgeheimnisse
wenige Möbelstücke leergeräumt und stand zum Verkauf. Die Möbel waren mit weißen Laken verhängt, soweit sie nicht schon, ebenso wie seine Bilder, auf Auktionen neue Eigentümer gefunden hatten. Seine Bücher waren in Kisten verpackt und an ein Antiquariat verkauft worden, bis auf die wenigen Exemplare, die er in seinem Büro gehabt hatte und die jetzt vermutlich in irgendeiner Asservatenkammer verstaubten. Seine einzige Hinterlassenschaft.
Bücher. Seine Bücher. Sie starrte auf Klingenbergs Worte, schwarzes Flimmern auf dem matten Weißgrau des Display. Sie versuchte, sich zu erinnern, welche Bücher auf seinem Schreibtisch gelegen hatten. Als sie an jenem Morgen in sein Büro gekommen war, hatte sie dort einen Stapel Bücher gesehen, daran konnte sie sich erinnern. Obenauf eine gebundene Ausgabe mit roter Schrift auf schwarzem Umschlag, darunter zwei, drei dünnere Bände, Theaterstücke oder Dramen, die er dutzendweise verschlungen hatte. Und ein oder zwei Taschenbücher. Sie spielte mit dem Trackball, überlegte, ob er etwas in eines der Bücher notiert hatte, das einen Hinweis geben konnte. Es war nicht seine Art gewesen, in Büchern herumzukritzeln, wie manche Leute es taten. Er blätterte und las, blätterte und las. Das, was ihm naheging, vergaß er niemals. Er brauchte dazu keine Notizen. Außerdem hatte die Polizei mit Sicherheit jedes Buch genau untersucht, vermutlich sogar mit der Lupe, wie alles in seinem Büro.
Draußen verschleierte ein aufkommender Nieselregen die Place Vendôme. Flüchtig überlegte Johanna, ob die Wanderung am Nachmittag ausfallen würde, bevor sie sich wieder Klingenbergs Abschiedsworten zuwandte und sie noch einmal durchging. Die erste Zeile, zugleich die Überschrift. Das letzte Stück. Eine schwache Allegorie, Sinnbild für seine letzte Handlung, mit der er sich das Leben nahm — das hatte sie, ebenso wie Jäger, in diesen Worten gesehen. Doch das schied inzwischen als Bedeutung unwiderruflich aus, denn in diesem letzten Stück war nicht er der Akteur gewesen, sondern ein anderer, ein gesichtsloser, namenloser Mörder. Was war dann das letzte Stück ? Ein Theaterstück, irgendein Drama, auf das er sich bezog?
Sie sah wieder aus dem Fenster. Menschen hasteten über die Place Vendôme. Von oben waren nur die Beine unter den runden nassen Dächern ihrer Schirme zu sehen, verrückte, durch den Regen marschierende Kuppeln.
Das letzte Stück. Es hatte eine Bedeutung. Sie erkannte mit plötzlicher, unumstößlicher Klarheit, was es war. Ein Zeichen. Es enthielt wie alles andere in dem Brief einen bestimmten Hinweis, augenfällig für denjenigen, der sich die Mühe machte, es zu ergründen. Es war das, wonach sie gesucht hatte, was ihr Aufschluß über die Umstände seines Todes geben würde. Das letzte Stück war wörtlich zu nehmen. Es war das Stück, das er zuletzt gelesen hatte.
Fabio Scarlatti erhielt an diesem Nachmittag einen unerwarteten Anruf von seiner Schwester aus Neapel. Sie kündigte ihr Kommen für den nächsten Tag an. Sein Herz schlug schmerzhaft schnell, als sie es ihm sagte. Sie telefonierten hin und wieder, aber es war nicht dasselbe wie ein Besuch. Er hatte sie seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen. Ihre Stimme war weich, melodiös und leise. Sie nannte ihn ihren lieben Jungen. Sie weinte am Telefon vor Freude, und beinahe hätte er es auch getan. Er stand in der Küche des Forchetta, die Hände und die Schürze voller Mehl von dem Pasta-Teig, den er bearbeitet hatte. An der langgestreckten Arbeitsfläche putzten zwei Frauen Berge von Gemüse. Giuseppe, sein zweiter Koch, stand am Herd und schmorte Zwiebeln in einer riesigen Kupferkasserolle. Die surrende Abzugshaube saugte die aufsteigenden Schwaden ein. Fabio wandte sich von Giuseppe und den Frauen ab, drehte sich zur Wand, damit sie sein Gesicht nicht sahen.
»Du mußt mich nicht vom Flughafen abholen, ich kann mir ein Taxi nehmen.«
»Du redest Unsinn, Gina. Ich hole dich ab. Ich erwarte dich am Terminal bei der Gepäckausgabe.«
»Ich freue mich so. Was macht Giuseppe? Wie geht es Carlo?«
»Giuseppe steht am Herd und brät Zwiebeln. Wir haben heute abend Omelettes als Vorspeise. Carlo kannst du morgen selbst nach seinem Befinden fragen. Er wird dir jeden Abend deinen Lieblingsdrink servieren, wie bei deinem letzten Urlaub hier.«
»Ich will keinen Urlaub. Ich werde mich nützlich machen.«
Er hörte den hoffnungsvollen Unterton in ihrer Stimme und lächelte. »Ja, du machst dich nützlich.
Weitere Kostenlose Bücher