Bankster
als ob er wissen wollte, wie viele Seiten ich schon beschrieben hatte, er starrte dorthin, bis er es mir mit Worten zurückgab, die mich wie ein Schlag trafen: »Ich habe dir geraten, Tagebuch zu schreiben, aber … mir scheint, dass du mit einem zukünftigen Leser rechnest, Markús, und das … Nein, tu einfach weiter so, als würdest du kein Buch schreiben, das geht unbewusst wahrscheinlich einfacher.«
Eigentlich wollte ich nie über dieses Treffen schreiben. Ich war feige, hatte plötzlich Angst, einen Fehler zu machen, weil Vésteinn mich dazu gebracht hatte, seine Bemerkung ernst zu nehmen, indem er selbst so ernst war. Ich las die Aufzeichnungen der letzten Tage noch einmal durch, versuchte, einiges zu verbessern, aber es wurde nur unverständlicher und ich immer irritierter, und ich konnte Vésteinns Getue nicht verstehen. Ich habe in letzter Zeit genug gelesen, um zu wissen, dass Bücher nicht einfach aus sich selbst heraus entstehen, sie werden sorgfältig und einem komplizierten Konstruktionsplan entsprechend geschmiedet – und es schadet auch nicht, wenn sie von etwas handeln.
Aber dazu jetzt nichts mehr, ich wollte noch erzählen, was nach unserem Besuch im Café Súfisti passiert ist.
Auf dem Weg nach draußen sind wir ein paarmal im Buchladen unter dem Café stehen geblieben, um uns umzusehen, am längsten haben wir uns bei einem gewagten Bildband aufgehalten. Wieder unter freiem Himmel, gingen wir schweigend langsam bis zur nächsten Ecke. Wir hatten schon alles gesagt. Die Uhr am Lækjartorg stand auf 19:35 Uhr. Vésteinn sah in die Bankastræti hinein, blinzelte mit den Augen und stülpte die Unterlippe über die Narbe auf der Oberlippe, sagte dann, dass ich in letzter Zeit offensichtlich sehr deprimiert gewesen sei, da ich den Weihnachtsschmuck erst am Mittwoch bemerkt hätte, er hinge nämlich schon seit mindestens einer Woche in der Stadt, die beleuchteten Tannenbögen über dem Laugavegur und all das andere, das für Festtagsstimmung und Einkaufslust sorgen soll. Das konnte ich nicht abstreiten, ich fand keine Worte, drückte nur fest seine Hand und ging weg.
Später
Wahrscheinlich gehe ich heute nicht nach draußen. Es ist zwar blöd, mit dieser Tradition zu brechen, aber das Wetter ist zu schlecht, Wahnsinnskälte und Sturm, und ich hatte es hier im Warmen bisher so gemütlich, habe gesessen oder gelegen, einen Film gesehen, gelesen und ungewöhnlich viele Seiten beschrieben. Meine Buchstaben sehen heute auch nicht wie Ameisen aus, sondern wie Schmeißfliegen mit Schmetterlingen dazwischen.
Gleich kommt Harpa nach Hause. Heute Morgen habe ich ihr von der Bewerbung erzählt – endlich oder leider. Sie war sehr froh darüber und will nun, dass wir diesen Schritt heute Abend mit ein paar lieben Leuten feiern. Falls sich ihre Traurigkeit proportional zu ihrer Freude verhält, werde ich wohl Tränen trocknen müssen, wenn ich den »Danke für Ihre Bewerbung, aber …«-Brief bekomme.
29.11. – Samstag
Diie Berlninrmmmarrr isn weeitereesml geflln – die Reylkjammíkrmmmaummmr is gelfalnun alllle wolllnrüüberr indn ostn !
Später
Als wir in der Nacht nach Hause gekommen sind, habe ich irgendeinen Quatsch geschrieben. Ich verstehe ihn kaum und bin auch nicht im Stande, ihn zu entziffern. Nachdem ich ihn hingekritzelt hatte, bin ich auf dem Buch eingeschlafen. Ganz plötzlich bin ich müde geworden. Bis zum Morgen habe ich im Bücherzimmer geschlafen, ohne dass Harpa es bemerkt hat, denn auch sie ist im Bett mit einem Mal eingeschlafen. Als sie noch wach war und ich zu ihr gegangen bin, meinte sie, dass ich irgendwas im Gesicht hätte, und sie versuchte, es mit einem angeleckten Daumen abzuwischen, bevor sie mich ins Badezimmer schickte. Da sah ich im Spiegel einen schwachen Textabdruck quer über die rechte Wange. Zwei aufeinanderfolgende Wörter, die ziemlich genau am Bartansatz standen, waren leserlich: »… gewagten Bildband.«
Später – die beschwipsten Wörter entschlüsselt:
Die Berliner Mauer ist ein weiteres Mal gefallen – die Reykjavíker Mauer ist gefallen, und alle wollen rüber in den Osten !
03.12. – Mittwoch
Beim Vorbeigehen ist mein Blick oft auf das Antiquariat an der Ecke gefallen, und ich habe mir immer gedacht, dass ich so bald wie möglich einmal hineingehen müsste. Einmal habe ich mir die Schaufenster angesehen, ohne es in den Laden zu schaffen – vielleicht wollte ich nur einen Regenschauer unter dem Vordach abwarten, vielleicht war geschlossen –
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