Bankster
dick aufzutragen. Aber ich bezweifle sowieso, dass es ein Bewerbungsgespräch war, viel eher eine kurze Predigt, und die war gut. Ich glaube, dass dieser Griesgram von nervenschwachem Personalchef mich nur vorgeladen hat, um auf den Bewerbungsstapel auf seinem Tisch zu zeigen, ihn ununterbrochen begrapschen und sagen zu können, dass er mich vor zwei Jahren hätte kennenlernen und einstellen wollen, »aber nein, da hattet ihr andere Dinge im Kopf, zum Beispiel mit 48 Jahren in Rente zu gehen, keinesfalls später! Aber …« – ich hatte Lust, ihn zu unterbrechen, ihm zu sagen, dass er just den Nagel auf den Kopf getroffen und mir die Augen geöffnet habe. Es sei richtig, dass viele davon geredet hätten, mit 48 Jahren den Job an den Nagel zu hängen und dann mit dem Leben anzufangen, aber Edith Piaf habe 48 Jahre gelebt, bevor sie gestorben sei, mit Job und allem, und plötzlich schien mir das der einzig richtige Weg zu sein – »… wie konnte es euch in den Sinn kommen, dass die Gesellschaft funktionieren könnte mit so einer großen Rentnergruppe, die sich draußen in der Welt herumtreibt oder auf dem Land der Pferdezucht oder sonst was frönt …« Am Ende meinte er noch, dass ich wahrscheinlich – wie auch die meisten anderen Bewerber – überqualifiziert sei und er mir ohnehin nur hinterhergucken würde, sobald die Situation wieder besser sei. Ich sagte, dass er damit sicher recht habe, und wünschte ihm gutes Gelingen.
Später
Gleich gehe ich nach Hause. Es ist 16:19 Uhr. Ich habe zwei vollgepackte Sitzungen hinter mir, es gibt genug zu tun und es wird noch mehr, aber ich habe nichts getan, außer mich davor zu hüten, vom Stuhl aufzustehen, keine einzige E-Mail beantwortet. Was soll ich auch sagen? »Punkte 1–3 sind klar, 4–7 nicht. Ansonsten lassen wir uns über die Methoden der Neuen Landsbanki aus, und im Dataroom liegen nur Projekte mit wackligen Voraussetzungen. Gibt’s sonst noch was? V. G., M.« Oder: »Kann ich versuchen, die Einlage aus der CDO-Struktur zu lösen, und dann weitersehen? Wir treffen uns n. d. WE. V. G., M.« Oder: »Super, versuchen wir sie gleich am Montag zu treffen. Das muss vor Monatsende concrete sein. Meld dich am Wochenende, wenn es sein muss, werde erreichbar sein. V. G., M.« Das und mehr müsste ich eigentlich sagen, ich will aber schweigen.
Am Morgen ist mir aufgefallen, dass die sonderangefertigten Regale im Empfangsbereich, auf denen früher kurze Kaufs-/Verkaufsanalysen von Unternehmen präsentiert wurden, jetzt voller Zeitschriften sind. Darunter natürlich Zeitschriften wie Freier Handel, The Banker, The Economist, Institutional Investor …, aber auch Lebendige Wissenschaft, Gesehen und gehört, Neues Leben und das Nachrichtenblatt der Beamten. Ich musste schmunzeln, ohne es wirklich lustig zu finden, und begrüßte Gústa, die allein hinter dem Empfangstresen saß, kleingewachsen und in ihren Fünfzigern, die aussah, als wäre sie in der Schule unartig gewesen und müsste jetzt nachsitzen, so allein, dort, wo sie früher zu dritt in einer Reihe gesessen und über ihre Enkelkinder geplaudert hatten, wenn sie nicht gerade gelackten Kunden den Weg ins richtige Konferenzzimmer zeigen mussten.
Anton kam nach dem Mittagessen zu mir und setzte sich auf meinen Tisch. Er wollte wissen, warum ich nicht beim Fischeintopfessen gewesen sei. Ich antwortete, dass ich kurz etwas anderes zu erledigen gehabt hätte. Dann meinte er, dass man sich schon daran gewöhnen werde. Ich wollte wissen, an was man sich gewöhnen werde. »Daran – an diese Abrissarbeit, die Bank zu zerschlagen.« Ich entgegnete, dass ich mich nicht daran gewöhnen wolle, aber Anton meinte, dass ich da keinen Einfluss hätte, dass ich lernen werde, mit diesem Hoffnungslosigkeitsgefühl zu leben, und mit einem Mal ging es mir besser als je zuvor. »Ich weiß nicht warum, Coozo, aber plötzlich habe ich das Gefühl, auf der Erde zu stehen, ohne bemerkt zu haben, dass es vorher nicht so war. Um fünf oder sechs Uhr nach Hause. Den Kurs halten. Kein Gelaber. Du warst ja die ersten Tage nicht hier, im Vergleich dazu ist gerade Festtagsstimmung. Ich meine, vor lauter Stress ist uns das Klopapier ausgegangen. Irgendwer ist dann runter zu den Hausmeistern, aber die meinten nur, dass sie längst Nachschub bestellt hätten. Grotesk. Einen halben Monat vorher haben wir noch auf der Büroparty bei Diskolicht und Konfetti getanzt, und dann gibt es plötzlich kein weiches Papier mehr für wunde Arschlöcher. Einige
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