Bankster
feucht, und man sieht, wie sich auf dem Kopf unter dem spärlichen Haar große Schweißperlen bilden, die dann ins Gesicht und über den Nacken laufen, wenn er sich ruckartig bewegt. Und wenn er glücklich ist, wird er gleich unkontrollierbar glücklich, redet schneller als gewöhnlich und seine Stimme macht auf wundersame Weise zwei Tonsprünge nach oben. Er ist speziell, man muss in der richtigen Stimmung für seine Gesellschaft sein, ansonsten kann er unerträglich werden. Ich finde ihn selten unerträglich, eher ermüdend, aber er ist mir nie egal, ich will, dass es ihm so gut wie möglich geht, und ich nehme Rücksicht darauf, dass er scheinbar so schlecht gegen die Umwelt gewappnet ist. So mies wie in letzter Zeit habe ich mich ihm gegenüber noch nie benommen, was mir ziemlich unangenehm ist, er wirkt so niedergeschlagen, als würde er eine viel zu schwere Last schleppen, was in mir sofort das Bedürfnis weckt, herbeizuspringen und ihm zu helfen.
Ob sich die Leute in letzter Zeit wohl regelmäßiger und in kürzeren Abständen treffen als früher? Wenn die Realität zerbröckelt, versucht man dann nicht, sie an einigen Stellen durch Fixpunkte zusammenzuhalten, mit Existenznieten sozusagen? Ich kann mir gut vorstellen, Vésteinn etwas regelmäßiger zu sehen, daher habe ich ihn mittags angerufen. Wir haben neun Minuten und siebzehn Sekunden gesprochen, laut Anzeige auf dem Telefon, beziehungsweise bis das Guthaben aufgebraucht war. Bevor die Verbindung abbrach, haben wir verabredet, uns gegen fünf Uhr zu treffen. Ein wenig später rief er trotzdem noch einmal an, um sich die Zeit bestätigen zu lassen. Das machte ich und erwähnte, wie komisch es sei, das Telefon selbst bezahlen zu müssen, daran würde ich mich nur schwer gewöhnen, und das Guthaben sei dementsprechend immer leer, obwohl ich eigentlich nichts zu sagen hätte. Das ist keine Übertreibung, noch kein Monat ist vergangen, und ich habe schon einen Zehner vertelefoniert – zehntausend Kronen!
28.11. – Freitag
Vésteinn hat mich gestern fast verrückt gemacht. Er war schon da, als ich ankam, völlig vertieft in einen Stapel Blätter vor sich, und er bemerkte mich erst, als ich direkt hinter ihm stand. Nachdem wir uns begrüßt hatten, winkte er mit seinem Lesestoff und meinte, dass es Arbeiten von Studenten seien. Ich ging, um mir etwas zu trinken zu bestellen. Vor mir stand ein französischer Tourist am Tresen. Das Mädchen mit der Schürze sprach fließend Französisch, vermutlich genauso stilecht, wie ihr Haarschnitt aussah, und der Tourist wollte einfach nicht gehen. Während ich wartete, sah ich das Heimweh buchstäblich aus ihrem dürren Körper fließen. Er stand dabei, als ich bestellte. Als ich den Beleg unterschrieben hatte, warf er sich sofort auf den Tresen und redete matt lächelnd weiter auf sie ein. Das Mädchen konnte wunderbar die Bohnen mahlen und mit der Kaffeemaschine ringen und dabei Französisch sprechen – wenn das nicht fließend ist, was dann?
Wie dem auch sei, Vésteinn hat mich gestern aus der Fassung gebracht. Wir unterhielten uns gerade über die gesellschaftlichen Spannungen, als er vom Thema abwich und mich fragte, wie es denn mit dem Buch voranginge. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihm etwas von einem Buch erzählt zu haben, und bat um eine Erklärung. »Das Buch, das du gerade schreibst.« Ich sagte ihm, dass ich aufgehört hätte, Tagebuch zu führen, und stattdessen in ein Notizbuch schriebe, eigentlich dasselbe Buch, das sei nur ein technisches Definitionsdetail. Während ich das sagte, beugte ich mich automatisch zur Seite und zog das Buch aus der Tasche. Vésteinn lächelte und fragte, ob er es sich einmal anschauen dürfe. Ich bat ihn, ein Datum zu nennen. »Gestern vielleicht.« Während Vésteinn las, kaute ich am Daumennagel und sah mich um. Jeder zweite Tisch und die gesamte gepolsterte Bank waren besetzt: Leute am Laptop, beim Zeitunglesen, im Gespräch oder mit dem Handy am Ohr, und eine allein sitzende Frau, die sich in aller Ruhe die Hände eincremte. Als Vésteinn seine Lektüre beendet hatte, sagte er eher teilnahmslos »Ja«. Er gab mir das Buch zurück und fragte, ob er noch mehr lesen dürfe. Ich bot ihm wieder an, sich einen bestimmten Tag auszusuchen, und sagte, dass ich darauf vertraute, dass er die Klappe halte, falls er auf irgendetwas Zweifelhaftes stieße.
Als er fertig war, sagte er nichts, schlug nur das Buch zu, drehte es in den Händen und betrachtete es von der Seite,
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