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Bankster

Bankster

Titel: Bankster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudmundson
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annehmen sollte.
    Ich stand dort am selben Ort zu verschiedenen Zeitpunkten, und schnell wurde mir eigenartig zumute – das Wort Zeitschleife ging mir durch den Sinn. Ich lief zur Eingangstür. Alles war so bekannt, dass mir schwindelig wurde. Ich sah Bilder von Gesichtern, die ich lange nicht gesehen hatte, und spürte den Frieden, der von den Erinnerungen auf der anderen Seite der Tür ausging, fühlte eine unerwartete Wärme in der Magengrube und war überzeugt, dass jetzt nicht März 2009 sein konnte, gemessen daran, dass ich im Dezember 2003 zuletzt dort gewesen bin, gut fünf Jahre konnten nicht einfach so verfliegen – oder doch, natürlich mussten sie verfliegen, aber sie dürften nicht einfach so ins Blaue wehen und jeglichen Bezug eines Menschen zu seinem eigenen Leben kappen.
    Als ich zur Tür ging, flog ich weder, noch wehte ich, sondern ich bewegte mich krampfhaft, die Kälte war wie ein Widerstand in der bewegungslosen Luft. Unter großer Anstrengung zwang ich meine Hand aus der Manteltasche, und als es gelungen war, fühlte sich die Türklinke geradezu warm an. Ich drückte sie leicht, bis ich merkte, dass die Tür abgeschlossen war, versuchte es trotzdem einige Male. In der anderen Hand, die noch in der Tasche steckte, hielt ich die Haustürschlüssel. In meiner Gedankenlosigkeit probierte ich sie aus, aber sie gehörten einer völlig anderen Generation an und blieben schon nach wenigen Millimetern stecken.
    25/3 – Mittwoch

    Bevor ich in den ersten Stock gegangen bin und meinen alten Tisch gefunden habe, stand ich eine Weile draußen. Wahrscheinlich war ich zu feige, um gleich reinzugehen, aber es kann auch sein, dass mich das Wetter festgehalten hat. Ich könnte es auch mit dem bisschen Sonnenwärme rechtfertigen, die durch die kühle Luft kam, jedenfalls hat sich mein gesamter Körper entspannt, als ich die Augen geschlossen, das Gesicht zur Sonne gedreht und etwas gespürt habe, etwas, das mich den Mantel aufknöpfen und an den Frühlingsanfang denken ließ. Das ist wahnsinnig gefährlich im März, eine Anzahlung auf schmerzliche Enttäuschung und Verärgerung.
    Plötzlich war ein Vogel im Wasserbecken an der Nationalbibliothek. Er badete im flachen Becken bei mir in der Ecke, plantschte kurz, bevor er den Kopf hob, sich umsah, ein tiefes, künstlerisches Zwitschern von sich gab und mit den Flügeln weiter im klaren Wasser rührte. Einen solchen Vogel hatte ich noch nie gesehen oder gehört, und so habe ich mich dümmlich interessiert auf das Mäuerchen gestützt und ihn beobachtet. Es war ein schlanker, schwarzer, spatzartiger Vogel mit gelbem Schnabel. Er sah aus wie ein Star, war aber viel größer und hatte mattere Federn, und weil er so kohlschwarz war, überlegte ich gleich, ob es eine Schwarzdrossel sein könnte. Ich kannte den Namen und vermutete, dass der Vogel dieser Art angehört, aber der Schnabel war so auffällig gelb, dieses satte Sonnenblumengelb hat sich derart in mein Gedächtnis eingebrannt, dass ich im Nachhinein nicht ausschließen kann, dass der Vogel seinerzeit einen passenden Namen zu seiner Schnabelfarbe bekommen hatte und ich vorhin vielleicht tatsächlich einer Sonnendrossel beim Baden zugesehen habe.
    Sie ist unzählige Male untergetaucht und hat ihre Flügel geschüttelt, ohne loszufliegen. Das Wasser perlte glitzernd von ihr ab, und je mehr dieser Perlen ins Wasser tropften, desto unruhiger wurde ich. Ich fand, dass sie sich unnötig viel Zeit nahm, unerträglich viel Zeit, und ich fing an, mich umzusehen. Falls sie gerade nach einer langen Reise gelandet war und nichts von Reykjavíks großem Katzenbestand wusste, war nichts Gutes zu hoffen. Sie badete weiter, unaufmerksam, obwohl sie manchmal den Kopf hob. Einmal legte sie eine Pause ein und zwitscherte vorbeifliegenden Rotdrosseln zu, doch die verstanden sie nicht und scherten sich auch nicht weiter darum, rasten einfach weiter durch schlafende Pappelzweige. Die Sonnendrossel badete weiter, und ich hielt nach Katzen Ausschau, hatte meine Augen ganz auf Katzen eingestellt und war bereit, loszuschreien, sobald sich ein Schwanz oder ein Katzenauge blicken lassen würde. Ich musste es allerdings nicht, denn genauso plötzlich, wie er gekommen war, verschwand der Vogel auf einmal im nahen Kieferngebüsch. Ich war erleichtert, vermisste ihn aber auch – fühlte mich seltsam allein.
    Die Bibliothek ist ein guter Ort, um auf Gedankenjagd zu gehen, finde ich. Im Vergleich zu meinem Körper schien sich mein Geist an

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