Barakuda der Wächter 03 - Die Freihändler von Cadhras
der Gegenseite brauchte. Normalerweise wurden Cadhrassi-Agenten gepfählt oder öffentlich gekehlt.
Tontarg war wichtig gewesen. Vermutlich hatten sich in seinem Gepäck Hinweise auf seine Wichtigkeit gefunden, und die anderen Mitglieder der Treidelgruppe hatten gleich die nächste Ordnerstation informiert. Jedenfalls war Toyami nur knapp entkommen. Im ersten Ort östlich des Gashigar hatte sie im Kommunepferch ihr Pferd gegen ein Reitpferd mit Sattel und Zaumzeug eingetauscht. Während sie im Bü ro des Pferchs Foldar bezahlte (da sie nicht nachweisen konnte, daß sie im Auftrag oder im Arbeitseinsatz reisend die Ausrüstung brauchte, hatte sie die üblichen Lustreise-Tarife zu entrichten), war ein Herold ins Dorf gekommen und hatte von der Ermordung eines Kommunarden aus Gashir durch eine junge Frau berichtet. Seitdem bewegte sie sich vorsichtig nach Osten, vermied Siedlungen und schlief in Wäldern.
Die Graufäule des Himmels lief blutig an. Das weite Land wurde sichtbar. Sanft gewellt erstreckten sich bis zum Horizont Getreidefelder und Obstplantagen, unterbrochen von Viehweiden und Brachland. Toyami trank Wasser aus der Lederflasche, aß eine Handvoll Körner und einige Stücke undefinierbaren Trockenobstes. Zwischendurch blickte sie immer wieder über ihre Schulter zurück.
Das war eines ihrer Probleme. Sie wurde gesucht, gejagt, aber es war nicht das Gefühl konkreter Bedrohung, das sie beunruhigte. Es war das Gefühl sündigen Treibens, verbrecherischer Absonderung, fossilen Privatisierens. Sie war zum ersten Mal wirklich allein, und es erfüllte sie beinahe mit Panik. Nicht Angst vor dem Dunkel der Nacht oder des Waldes, sondern tiefe Unsicherheit, weil sie etwas unsagbar Subversives tat, sich individualisierte.
»Höchste Zeit zum Austausch«, murmelte sie. Sie biß die Zähne zusammen und ging, ohne sich umzudrehen, zum Pferd.
Das zentrale Hochland war durch eine Bergkette von den Ebenen an der Küste getrennt; es stellte eine Art Zwischenterrasse dar. Im Süden und Südosten konnte Toyami bereits die schneebedeckten Berggipfel erkennen, hinter denen die Täler und Plateaus von Tag’gashir’dir lagen. Wie alle Grenzregionen war das zerklüftete Südland ein Verbotenes Gebiet. Weiter im Süden verlief die legendäre Taggabahn durch einen Zipfel des AV-Gebiets; dort berührten einander die Länder Gashiri, Langladir, Zheziri, Golgit und mehrere kleine Shilgebiete.
An einem Bach machte sie Rast. Es war früher Nachmittag. Mit dem Kochgeschirr schöpfte sie Wasser, trank und aß dazu wieder eine Handvoll Körner, Dörrobst und einige Bissen einer harten, geschmacklosen Substanz, deren Hauptbestandteile Gemüse (dehydriert und pulverisiert) und pflanzliche Fette waren. Dann zog sie sich aus, wusch sich im Bach und ließ sich von der Nachmittagssonne trocknen. Ihre Oberschenkel waren wundgeritten, und ihre Rippen begannen sich abzuzeichnen.
Beim Anziehen faßte sie einen plötzlichen Entschluß. Die Berge waren oder schienen greifbar nah. Um die Ostgrenze von Gashiri zu erreichen, die 1000 Kilometer Luftlinie entfernt war, würde sie ebenfalls Hügel und Berge überwinden müssen, dazu drei große Flüsse mit relativ dicht bevölkerten Einzugsgebieten. Bei ihrem Tempo und der erzwungenen Umsichtigkeit konnte sie nicht hoffen, die Kette der Sperrstationen im Osten schnell zu erreichen. Dreißig, vielleicht vierzig Tage; danach die steilen Grenzgebirge mit den scharf bewachten Straßen und unwegsamen Schluchten, dann erst das System der Grenzfestungen. Schwieriger konnte es auch im Süden nicht sein, aber die Südgrenze war näher, und die Verbotenen Gebiete sicher ebenso scharf bewacht wie der Osten, aber weniger dicht besiedelt. Außerdem würden die Verfolger nicht damit rechnen, daß eine Flüchtige ausgerechnet Tag’gashir’dir aufsuchte. Was mit ihr geschah, falls man sie fangen sollte, war nicht von der Gegend abhängig, in der sie erwischt wurde. Sie machte sich keine Illusionen. Verhöre, Drogen, Foltern, Vergewaltigungen; die Kontrolleure würden sicher nicht versuchen, sie, die Mörderin eines Hochkontrolleurs zu kaufen, aber ebenso gewiß konnte sie mit einem qualvollen Tod rechnen.
Sie zog sich an und stieß einen leisen Pfiff aus; der Rappe schnaubte und kam zu ihr. Ein gutes Pferd, ausdauernd und schnell; sie hatte Glück und ein gutes Auge gehabt, als sie ihn auswählte. Sie befestigte ihren Beutel wieder am Sattelknauf.
Nach Süden. Jenseits des Bachs erstreckte sich eine wellige
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