Barakuda der Wächter 03 - Die Freihändler von Cadhras
Steppe. Nachdenklich prüfte Toyami die Schneide ihres Messers. Dies und die erlernten Kampftechniken waren ihre einzigen Waffen. Angesichts dessen, was ihr im Fall der Ge fangennahme drohte, war sie entschlossen, sich sehr teuer zu verkaufen. Mit der Zungenspitze tastete sie nach der winzigen Schwellung an der Innenseite ihrer Unterlippe. Zum ersten Mal begriff sie konkret und persönlich die bittere Notwendigkeit der Giftkapsel. Man konnte sie nur absichtlich, gewaltsam herausbeißen.
Am frühen Abend durchquerte sie einen kleinen Wald; an dessen Südseite begann Weideland, aber bald stellte sie fest, daß die Pferde und Kamele unbeaufsichtigt waren. Es mochte sich um eine der zahllosen Reittierherden der Ord nertruppen handeln. Das wiederum hieße, daß in der Nähe eine größere Garnison sein mußte. Sie dachte an die Karte von Gashiri und kam zu dem Schluß, daß sie nur wenige Kilo me ter westlich der großen Straße von Gashir nach Tag’gashir’dir war. Eine der wichtigsten Nordsüd-Verbindungen des Landes, die sicherlich immer schärfer kontrolliert wurde, je weiter man nach Süden kam, in die Nähe des Verbotenen Landes.
Vorsichtshalber ritt sie nach Südwesten, wo keine Siedlungen sein durften. Unmittelbar am Fuß der Berge verlief noch eine Transportstrecke ostwestlich, aber bis sie diese erreichte, konnte sie eigentlich sicher sein, keine Dörfer mehr zu berühren.
In der Abenddämmerung fand sie eine kleine, einzelne Hütte. Sie schien verlassen, dennoch näherte Toyami sich nur behutsam. In einem halboffenen Verschlag neben der Hütte entdeckte sie Werkzeug und Material für Zäune, Drahtrollen sowie Brandeisen. Es mußte sich um eine Notunterkunft für Viehhirten handeln. Nicht weit hinter einem Brunnen sah sie in einem Drahtgehege aufgeplusterte Hühner auf überdachter Stange hocken. Sie sattelte den Rappen ab. Aus einem Brunnen schöpfte sie Wasser, tränkte das Pferd und inspizierte die Hütte. Es gab mehrere Pritschen, eine Feuerstelle und einen Schrank sowie eine winzige Vorratskammer. Im Schrank fand sie einen kurzen Bogen und einen Köcher mit etwa fünfzig Pfeilen, Messer, Lederriemen, Nägel und anderes kleines Werkzeug. Der Bogen verblüffte sie, bis sie daran dachte, daß die Hirten häufig Probleme mit Raubtieren haben mußten.
Plötzlich bemerkte sie, daß ihr Nacken schmerzte. Erst da fiel ihr auf, daß sie sich tagsüber dauernd umgeschaut hatte. Sie murmelte einen Fluch und ging wieder hinaus.
Im ungewissen Abendlicht näherte sie sich dem Hühnergehege, Ein Rinnsal floß hindurch, und als sie unmittelbar neben ihnen stand, wurden die diffusen Bottiche zu Trögen, die mit Körnern gefüllt waren. Mit schnellem Griff packte sie ein Huhn. Sie machte Feuer im offenen Herd der Hütte und briet das gerupfte und ausgenommene Tier. Dann ging sie noch einmal hinaus und suchte nach Eiern. Sie fand vier, vertraute auf ihre Frische und briet sie in einer Kupferschale, zusammen mit einem Stück des dehydrierten Gemüsekoagulats, das beim Erhitzen ein wenig Fett freigab.
Als das Huhn fertig war, fühlte Toyami sich bereits zu drei Vierteln gesättigt. Sie spülte den letzten Bissen Ei mit Wasser hinunter. Dann brach sie ein Hühnerbein ab, roch daran und fand es köstlich.
Nach dem zweiten Bissen stürzte sie hinaus und erbrach sich neben der Tür. Keuchend, ausgepumpt und mit pochenden Schläfen taumelte sie wieder in die Hütte. Sie löschte das Feuer mit einem Schuß Brunnenwasser und legte sich mit ihrer Decke auf eine der Pritschen. Sie versuchte die aufsteigenden Tränen niederzukämpfen. Solange sie sich unverletzt und heil fühlte, konnte sie mit einem gewissen Stoizismus der Todesgefahr entgegenreiten, das Messer prüfen und mit der Zunge nach der Giftkapsel tasten. Aber nun, da etwas in ihr sie zwang, sich dauernd umzudrehen und nach Beobachtern Ausschau zu halten – nach Beobachtern, die sie nicht etwa verfolgten, sondern ihr beim subversiven Privatisieren zuschauten; nun, da auch ihr Körper in einem wichtigen Punkt nicht mehr gehorchte, hatte sie das Gefühl, aufgespalten zu sein in drei Teile, deren Verbindungen überdehnt und brüchig waren. Ein Teil hatte nach langer Verstellung die Maske der Anpassung verinnerlicht; er fürchtete sich vor Sünde und Häresie, an die er eigentlich nicht glaubte. Der zweite Teil, vielleicht nur Kehrseite des ersten, war der Körper, der sich umschaute und Fleisch herauswürgte und vielleicht bald weitere Dienste aufkündigen würde. Der
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