Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Eintritt nicht lange; der Zustand des Ortes und die Gesellschaft luden nicht zur Langlebigkeit ein.
»Das saugen Sie sich doch alles aus den Fingern«, protestierte ich angesichts dieser pittoresken Schilderung.
»So weit reicht meine Erfindungsgabe nicht, Daniel. Warten Sie ab, Sie werden schon sehen. Ich habe das Haus vor etwa zehn Jahren bei einer unglückseligen Gelegenheit besucht und kann Ihnen sagen, daß es aussah, als hätte man ihren Freund Julián Carax als Ausstatter beigezogen. Dumm, daß wir nicht einige Lorbeerblätter mitgenommen haben, um seine typischen Gerüche zu dämpfen. Es wird uns schon genug Mühe bereiten, eingelassen zu werden.«
Mit derlei Erwartungen bogen wir in die Calle Montcada ein, die um diese Zeit bereits eine finstere Passage war, gesäumt von alten, jetzt als Lagerräume und Werkstätten genutzten Palästen. Die Litanei der Glockenschläge von der Basilika Santa María del Mar begleitete das Echo unserer Schritte. Kurz darauf drang ein bitterer, penetranter Geruch durch die kühle Winterbrise.
»Was ist denn das für ein Gestank?«
»Wir sind da«, verkündete Fermín.
16
Ein morsches Holztor führte auf einen Innenhof, bewacht von Gaslampen, die ihr Licht auf Wasserspeier und steinerne Engel mit ausgewaschenen Gesichtszügen warfen. Eine breite Treppe führte zum ersten Stock hinauf, wo ein helles Rechteck den Haupteingang des Altenheims markierte. Das Gaslicht tönte den herausströmenden Giftnebel ockerfarben. Eine kantige Raubvogelsilhouette beobachtete uns im Türbogen. Im Halbdunkel konnte man ihren scharfen Blick erkennen, von derselben Farbe wie das Ordensgewand. Sie hielt einen dampfenden, unbeschreiblich stinkenden Holzeimer in der Hand.
»Avemariapurissimasinepeccatoconcepta«, sprudelte Fermín begeistert hervor.
»Und der Sarg?« antwortete tief und argwöhnisch die Stimme von oben.
»Der Sarg?« erwiderten Fermín und ich einstimmig.
»Sie kommen doch vom Beerdigungsinstitut, nicht wahr?«
Die Stimme der Nonne klang müde.
Ich war mir nicht sicher, ob das ein Kommentar zu unserem Aussehen war oder eine wirkliche Frage.
Angesichts dieser von der Vorsehung geschenkten Gelegenheit leuchtete Fermíns Gesicht auf.
»Der Sarg ist noch im Lieferwagen. Wir möchten zuerst den Kunden untersuchen. Reine Formalität.«
Ich spürte, wie mich Ekel packte.
»Ich dachte, Señor Collbató würde persönlich kommen«, sagte die Nonne.
»Señor Collbató läßt sich entschuldigen, er hat in letzter Sekunde eine höchst verzwickte Einbalsamierung vornehmen müssen – ein Herkules aus dem Zirkus.«
»Arbeiten Sie mit Señor Collbató im Beerdigungsinstitut?«
»Wir sind seine rechte beziehungsweise linke Hand. Wilfredo Velludo, zu dienen, und da zu meiner Seite mein Lehrling, der Abiturient Sansón Carrasco.«
»Sehr erfreut«, ergänzte ich.
Die Nonne musterte uns flüchtig und nickte gleichgültig.
»Willkommen in Santa Lucía. Ich bin Schwester Hortensia, ich habe Sie angerufen. Folgen Sie mir.«
Ohne einen Mucks von uns zu geben, folgten wir ihr durch einen höhlenartigen Korridor, dessen Geruch mich an einen U-Bahn-Schacht erinnerte. Zu beiden Seiten öffneten sich hinter türlosen Rahmen von Kerzen erleuchtete Säle, an deren Wänden Betten aufgereiht waren, über denen sich Moskitonetze wie Leichentücher bewegten. Man hörte Wehklagen und erkannte zwischen dem Vorhanggewebe einzelne Gestalten.
»Hier entlang«, sagte Schwester Hortensia, die ein paar Meter vorausging.
Wir betraten ein geräumiges Gewölbe, in dem ich mir ohne große Mühe den von Fermín beschriebenen Schauplatz des Tenebrariums vorstellen konnte. Auf den ersten Blick hatte ich im Halbdunkel das Gefühl, ich sähe eine Sammlung von Wachsfiguren, die mit glasig-toten, im Kerzenlicht wie Messingmünzen glänzenden Augen in den Ecken saßen oder dort liegengelassen worden waren. Ich dachte, vielleicht handle es sich um Puppen oder Überbleibsel aus dem alten Museum. Dann stellte ich fest, daß sie sich bewegten, wenn auch sehr langsam und behutsam. Sie hatten kein bestimmtes Alter oder Geschlecht und waren in aschfarbene Lumpen gehüllt.
»Señor Collbató hat gesagt, wir sollen nichts anrühren und reinigen«, sagte Schwester Hortensia in entschuldigendem Ton. »So haben wir den Ärmsten halt in eine der Kisten gelegt, die da rumstehen, weil er schon zu tropfen angefangen hat, aber das ist ja jetzt vorbei.«
»Das haben Sie gut gemacht. Man kann nicht vorsichtig genug sein«, pflichtete Fermín bei.
Ich
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