Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Büßerhemd. Sie haben nichts Unrechtes getan. Im Leben gibt es schon genügend Henker, als daß man noch sich selbst gegenüber den Großinquisitor spielen muß.«
»Sprechen Sie aus Erfahrung?«
Fermín zuckte die Schultern.
»Sie haben mir nie erzählt, wie Sie Fumero begegnet sind«, sagte ich.
»Wollen Sie eine Geschichte mit Moral hören?«
»Nur, wenn Sie sie mir erzählen mögen.«
Er schenkte sich ein Glas Wein ein und trank es in einem Zug aus.
»Amen«, sagte er zu sich selbst. »Was ich Ihnen von Fumero erzählen kann, ist allgemein bekannt. Das erste Mal habe ich von ihm gehört, als der künftige Inspektor noch ein Pistolenheld im Dienst des Anarchistischen Verbandes Spaniens war. Er hatte sich einen großen Ruf erworben, weil er weder Angst noch Skrupel kannte. Er brauchte bloß einen Namen, um die Person auf offener Straße mittags um zwölf mit einem Schuß in die Stirn zu liquidieren. Solche Talente sind in bewegten Zeiten sehr geschätzt. Was er ebensowenig kannte, waren Treue und Grundsätze. Die Sache, der er diente, war ihm schnurz, solange sie seinem Aufsteigen förderlich war. Es gibt massenweise solches Gesindel auf der Welt, aber wenige mit Fumeros Begabung. Von den Anarchisten lief er zu den Kommunisten über, und von dort zu den Faschisten war es nur noch ein Schritt. Er spionierte und verkaufte Informationen der einen Seite an die andere und nahm von jedermann Geld. Ich hatte schon seit einiger Zeit ein Auge auf ihn geworfen. Damals habe ich für die Regierung der Generalität gearbeitet.«
»Was haben Sie denn gemacht?«
»Ein bißchen alles. In den Fernsehserien von heute wird das, was ich machte, Spionage genannt, aber in Zeiten des Krieges sind wir alle Spione. Ein Teil meiner Arbeit bestand darin, über Leute wie Fumero Bescheid zu wissen. Es sind die gefährlichsten. Sie sind wie Vipern, farb- und gewissenlos. Im Krieg schießen sie überall wie Pilze aus dem Boden. In Friedenszeiten tragen sie eine Maske, aber sie sind weiterhin da. Zu Tausenden. Jedenfalls habe ich sein Spiel irgendwann durchschaut – eher zu spät, würde ich sagen. Barcelona fiel in wenigen Tagen, und die Situation hatte sich um hundertachtzig Grad gewendet. Ich war auf einmal ein gesuchter Verbrecher, und meine Vorgesetzten sahen sich gezwungen, sich wie Ratten zu verstecken. Natürlich hatte Fumero bereits das Kommando über die Operation Säuberung, die mit Schüssen durchgeführt wurde, auf offener Straße oder im Kastell des Montjuïc. Mich haben sie im Hafen verhaftet, als ich auf einem griechischen Frachter Schiffskarten zu lösen versuchte, um meine Chefs nach Frankreich zu schicken. Sie brachten mich auf den Montjuïc und schlossen mich zwei Tage in einer stockdunklen Zelle ein, ohne Wasser und Ventilation. Als ich wieder Licht zu sehen bekam, war es die Flamme eines Lötkolbens. Fumero und ein Kerl, der nur Deutsch sprach, hängten mich an den Füßen auf, den Kopf nach unten. Zuerst hat mir der Deutsche die Kleider mit dem Lötkolben weggebrannt. Er schien Übung darin zu haben. Als nur noch Fetzen an mir hingen und sämtliche Haare des Körpers abgesengt waren, sagte Fumero, wenn ich ihm nicht verrate, wo sich meine Vorgesetzten versteckt hielten, fange der Spaß erst richtig an. Ich bin kein mutiger Mann, Daniel. Ich bin es nie gewesen, aber mit dem bißchen Mumm, das ich habe, verfluchte ich ihn und schickte ihn zum Teufel. Auf ein Zeichen von Fumero hin spritzte mir der Deutsche irgendwas in den Schenkel und wartete ein paar Minuten. Dann, während Fumero rauchte und mich grinsend beobachtete, begann er mich gewissenhaft mit dem Lötkolben zu braten. Sie haben die Male ja gesehen …«
Ich nickte. Fermín sprach in gelassenem, emotionslosem Ton.
»Diese Brandmale sind noch das Harmloseste. Die schlimmsten bleiben innen zurück. Eine Stunde habe ich es unter dem Lötkolben ausgehalten. Vielleicht war’s auch nur eine Minute, ich weiß es nicht. Aber schließlich hab ich die Verstecke genannt – die Namen der Helfer und sogar die von Leuten, die es gar nicht waren. Sie ließen mich nackt und mit verbrannter Haut in einer Gasse des Pueblo Seco liegen. Eine gute Frau hat mich zu sich genommen und zwei Monate lang gepflegt. Die Kommunisten hatten ihren Mann und ihre beiden Söhne in der Tür ihres Hauses erschossen. Sie wußte nicht, warum. Als ich wieder aufstehen und hinausgehen konnte, erfuhr ich, daß alle meine Vorgesetzten festgenommen und hingerichtet worden waren, wenige Stunden nachdem ich
Weitere Kostenlose Bücher