Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Hörsaal von Professor Velázquez wartete ich, bis die Studenten herauskamen. Nach etwa zwanzig Minuten öffneten sich die Türen, und ich sah den Professor mit arrogantem, gelecktem Gesicht vorbeigehen, wie immer inmitten eines Grüppchens von Bewunderinnen. Fünf Minuten später noch immer keine Spur von Bea. Ich trat an die Türen des Hörsaals, um einen Blick hineinzuwerfen. Ein Mädchentrio mit Sonntagsschulgesichtern unterhielt sich und tauschte Notizen oder Vertraulichkeiten aus. Die, die die Anführerin zu sein schien, sah mich, unterbrach ihren Monolog und durchbohrte mich mit einem forschenden Blick.
»Verzeihung, ich suche Beatriz Aguilar. Wißt ihr, ob sie diese Vorlesung besucht?«
Die Mädchen wechselten einen Blick und unterzogen mich dann einer Röntgenaufnahme.
»Bist du ihr Verlobter?« fragte eine von ihnen. »Der Leutnant?«
Ich lächelte bloß hohl, was als Zustimmung aufgefaßt wurde. Nur das dritte Mädchen lächelte zurück, schüchtern und den Blick abgewandt. Herausfordernd kamen ihr die beiden andern zuvor.
»Ich habe mir dich anders vorgestellt«, sagte die Anführerin.
»Und die Uniform?« fragte die zweite mißtrauisch.
»Ich bin auf Urlaub. Wißt ihr, ob sie schon gegangen ist?«
»Beatriz ist heute nicht in die Vorlesung gekommen«, sagte die Anführerin.
»Ach nein?«
»Nein. Als ihr Verlobter müßtest du das eigentlich wissen.«
»Ich bin ihr Verlobter, kein Zivilgardist.«
»Kommt, wir gehen, der ist ja ’ne Witzfigur«, sagte die Anführerin.
Mit scheelem Blick und angewidertem Grinsen gingen die beiden an mir vorüber. Die dritte, die Nachzüglerin, blieb einen Augenblick stehen, bevor sie den Hörsaal verließ, und flüsterte mir, ohne daß die andern es sahen, zu:
»Beatriz ist schon am Freitag nicht gekommen.«
»Weißt du, warum?«
»Du bist nicht ihr Verlobter, stimmt’s?«
»Nein. Nur ein Freund.«
»Ich glaube, sie ist krank.«
»Krank?«
»Das hat eines der Mädchen gesagt, das bei ihr angerufen hat. Jetzt muß ich aber gehen.«
Bevor ich mich für ihre Hilfe bedanken konnte, war sie schon den beiden andern nachgegangen, die sie am entgegengesetzten Ende des Kreuzgangs mit zornigen Augen erwarteten.
»Da muß etwas geschehen sein, Daniel. Eine Großtante, die gestorben ist, ein Papagei mit Mumps, eine Erkältung vor lauter entblößtem Hintern, weiß Gott, was. Die Welt kreist nicht um das, wonach es Sie im Hosenzwickel gelüstet. Andere Faktoren beeinflussen das Werden der Menschheit.«
»Meinen Sie, ich weiß das nicht? Sie kennen mich offenbar nicht, Fermín.«
»Ach, mein Lieber, Sie könnten mein Sohn sein, so gut kenne ich Sie. Hören Sie auf mich. Kommen Sie aus Ihrem Kopf heraus und schöpfen Sie frische Luft. Warten ist Rost für die Seele.«
»Sie finden mich also lächerlich.«
»Nein, ich finde Sie besorgniserregend. Ich weiß natürlich, daß einem solche Dinge in Ihrem Alter als das Ende der Welt erscheinen, aber alles hat seine Grenzen. Heute abend besuchen wir beide ein Lokal in der Calle Platería, das offenbar sehr im Schwange ist, und gehen auf Schnepfenjagd. Man hat mir gesagt, da gibt es einige eben aus Ciudad Real gekommene nordische Mäuschen, die einen aus den Schuhen hauen. Ich lade Sie ein.«
»Und was wird die Bernarda dazu sagen?«
»Die Mädchen sind für Sie. Ich gedenke mit einer Zeitschrift im Salon zu warten und die Chose von fern zu verfolgen. Ich habe mich nämlich zur Monogamie bekehrt, wenn nicht in mente, so doch de facto.«
»Ich danke Ihnen, Fermín, aber …«
»Ein Bursche von achtzehn Jahren, der ein solches Angebot ausschlägt, ist nicht ganz bei Trost. Da muß man sogleich etwas tun. Da, nehmen Sie.«
Er wühlte in seinen Taschen und gab mir einige Münzen. Ich fragte mich, ob er damit den Besuch in einem Prachtharem finanzieren wollte.
»Dafür wünscht man uns nicht mal eine gute Nacht, Fermín.«
»Sie gehören zu denen, die vom Baum fallen und gar nie am Boden ankommen. Glauben Sie allen Ernstes, ich bringe Sie in ein Bordell und gebe Sie nachher mit Gonorrhö vollgepumpt Ihrem Herrn Vater zurück – dem heiligsten Mann, den ich je kennengelernt habe? Das mit den Mädchen habe ich nur gesagt, um zu sehen, ob Sie reagieren, wenn ich an den einzigen Teil Ihrer Person appelliere, der zu funktionieren scheint. Damit sollen Sie zum Telefon an der Ecke gehen und in etwas privaterem Rahmen Ihr Liebchen anrufen.«
»Bea hat mir ausdrücklich gesagt, ich soll sie nicht anrufen.«
»Sie hat Ihnen auch gesagt, sie werde am
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