Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
gesellte, gab er mir mit einer Bewegung der Augenbrauen zu verstehen, ich solle losmarschieren.
»Wir führen den Blödmann etwa zwanzig Meter weit. Drehen Sie sich nicht um.«
»Der von vorhin?«
»Ich glaube nicht, es sei denn, er ist bei der Feuchtigkeit eingelaufen. Der hier scheint wirklich ein Gimpel zu sein. Hat eine sechs Tage alte Sportzeitung bei sich. Fumero rekrutiert seine Lehrlinge offenbar an Eliteschulen.«
Als wir im Els Cuatre Gats anlangten, setzte sich unser Mann wenige Meter von uns entfernt an einen Tisch und tat so, als läse er die Ereignisse des Liga-Spieltags von der Vorwoche. Alle zwanzig Sekunden schielte er zu uns herüber.
»Armes Kerlchen, schauen Sie nur, wie er schwitzt«, sagte Fermín und schüttelte den Kopf. »Sie sehen etwas zerstreut aus, Daniel. Haben Sie mit dem Mädchen gesprochen oder nicht?«
»Ihr Vater hat abgenommen.«
»Und Sie haben ein freundschaftliches, herzliches Gespräch mit ihm geführt?«
»Eher einen Monolog.«
»Ich sehe. Muß ich daraus also schließen, daß Sie ihn noch nicht als Papa ansprechen?«
»Er hat mir versichert, daß er mir die Seele aus dem Körper rausprügeln wird.«
»Das wird wohl eine rhetorische Figur gewesen sein.«
Die Gestalt des Kellners beugte sich über uns. Fermín bestellte Essen für ein ganzes Regiment und rieb sich erwartungsfroh die Hände.
»Und Sie wollen nichts, Daniel?«
Ich schüttelte den Kopf. Als der Kellner mit zwei Tabletts voller Tapas, Sandwiches und einer Flasche Wein zurückkam, gab ihm Fermín eine große Münze und sagte, der Rest sei für ihn.
»Chef, sehen Sie den Typ dort am Tisch neben dem Fenster, der den Kopf in die Zeitung steckt, als wär’s eine Papiertüte?«
Der Kellner nickte verschwörerisch.
»Wären Sie so gut und würden Sie ihm sagen, Inspektor Fumero beauftragt ihn dringend, unverzüglich auf den Boquería-Markt zu gehen und für fünfundzwanzig Peseten gekochte Kichererbsen zu kaufen und schleunigst ins Präsidium zu bringen (wenn nötig per Taxi), oder er soll sich darauf vorbereiten, den Hodensack auf dem Tablett zu präsentieren? Soll ich’s wiederholen?«
»Das ist nicht nötig, mein Herr. Für fünfundzwanzig Peseten gekochte Kichererbsen oder der Hodensack.«
Fermín gab ihm noch eine Münze.
»Gott segne Sie.«
Der Kellner nickte respektvoll und ging zum Tisch unseres Verfolgers, um ihm die Nachricht zu überbringen. Als der Mann die Befehle vernahm, geriet sein Gesicht aus den Fugen. Er blieb fünfzehn Sekunden sitzen, rang mit unergründlichen Kräften und stürzte dann auf die Straße hinaus. Fermín nahm sich nicht einmal die Mühe, mit der Wimper zu zucken. Unter andern Umständen hätte ich die Episode genossen, aber an diesem Abend war ich nicht imstande, Bea aus meinen Gedanken zu verbannen.
»Kommen Sie auf den Boden, Daniel, wir haben eine Arbeit zu besprechen. Gleich morgen besuchen Sie Nuria Monfort, genau so wie ausgemacht.«
»Und wenn ich dort bin, was soll ich ihr dann sagen?«
»An Gesprächsstoff wird es Ihnen nicht mangeln. Es geht darum, das zu tun, was Señor Barceló so treffend vorgeschlagen hat. Sie sagen ihr, Sie wissen, daß sie Sie in bezug auf Carax perfid angelogen hat, daß ihr angeblicher Mann Miquel Moliner nicht wie behauptet im Gefängnis sitzt, daß Sie herausgefunden haben, daß sie die Frau im Hintergrund ist, welche die Korrespondenz für die ehemalige Wohnung der Familie Fortuny-Carax von einem Postfach abgeholt hat, das auf den Namen einer nicht existierenden Anwaltskanzlei lautet. Sie sagen ihr alles, was dienlich ist, um ihr die Hölle heiß zu machen – und all das ganz melodramatisch und mit biblischem Gesicht. Dann treten Sie mit einem Knalleffekt ab und lassen sie eine Weile im eigenen Saft schmoren.«
»Und unterdessen …«
»Unterdessen halte ich mich bereit, ihr zu folgen, was ich mit Hilfe avancierter Tarnungstechniken zu tun gedenke.«
»Das wird nicht funktionieren, Fermín.«
»Ungläubiger Thomas. Was hat Ihnen der Vater dieses Mädchens bloß gesagt, daß Sie sich so anstellen? Ist es wegen der Drohung? Beachten Sie sie einfach nicht. Sagen Sie, was hat Ihnen dieser Verrückte gesagt?«
Ich antwortete, ohne nachzudenken.
»Die Wahrheit.«
»Die Wahrheit nach dem heiligen Daniel, dem Märtyrer?«
»Machen Sie sich lustig, soviel Sie wollen. Geschieht mir ganz recht.«
»Ich mache mich nicht lustig, Daniel. Es tut mir nur leid, Sie in dieser Selbstgeißelungsstimmung zu sehen. Man könnte wirklich glauben, Sie stecken im härenen
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