Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Druckerei für die Herstellungskosten von Julián Carax’ Büchern an Señor Cabestany schickte. Anderseits waren es Kopien der Rechnungen, die Cabestany seinerseits an jemanden schickte, der diese Kosten in voller Höhe übernahm. Es war ein Mann, der mit dem Verlag nichts zu tun und von dem ich noch nie gehört hatte: Miquel Moliner. Aber die Druck- und Auslieferungskosten waren wesentlich niedriger als die Señor Moliner fakturierte Summe, was bedeutete, daß der Verlag Geld verdiente, indem er Bücher druckte, welche direkt in ein Lager wanderten. Ich hatte nicht den Mut, Cabestanys finanzielle Machenschaften zu hinterfragen – ich fürchtete um meine Stelle. Aber ich schrieb mir die Adresse dieses Miquel Moliner auf, eine Hausnummer in der Calle Puertaferrisa. Monatelang trug ich diese Adresse mit mir herum, ehe ich es wagte, ihn aufzusuchen. Schließlich siegte mein Gewissen, und ich ging zu ihm, um ihm zu sagen, daß Cabestany ihn übers Ohr haue. Er lächelte und sagte, er wisse es.
»Jeder macht das, wozu er taugt.«
Ich fragte ihn, ob er derjenige sei, der so oft angerufen habe, um Carax’ Adresse herauszufinden. Er verneinte und schärfte mir mit ernster Miene ein, diese Adresse niemandem zu geben. Niemals.
Miquel Moliner war ein rätselhafter Mann. Er lebte allein in einem höhlenartigen, halb zerfallenen Palast, der zur Erbschaft seines Vaters gehörte, eines Industriellen, der mit der Fabrikation von Waffen und, wie es hieß, als Kriegsgewinnler reich geworden war. Miquel lebte alles andere als in Saus und Braus, sondern führte ein fast mönchisches Leben und ließ es sich angelegen sein, das in seinen Augen blutbesudelte Geld für die Restaurierung von Museen, Kathedralen, Schulen, Bibliotheken und Krankenhäusern durchzubringen und sicherzustellen, daß die Werke seines Jugendfreundes Julián Carax in seiner Geburtsstadt veröffentlicht wurden.
»Geld habe ich mehr als genug, Freunde wie Julián aber fehlen mir«, sagte er als einzige Erklärung.
Mit seinen Geschwistern oder den restlichen Familienmitgliedern, von denen er wie von Fremden sprach, hatte er kaum Kontakt. Er war unverheiratet und verließ selten das Grundstück seines kleinen Palastes, in dem er nur den oberen Stock bewohnte. Dort hatte er sein Büro eingerichtet, wo er fieberhaft Artikel und Kolumnen für mehrere Madrider und Barceloneser Zeitungen und Zeitschriften verfaßte, technische Texte aus dem Französischen und Deutschen übersetzte sowie Lexika und Schulbücher stilistisch überarbeitete. Miquel Moliner war besessen von der Krankheit des Büßerfleißes, und obwohl er bei andern den Müßiggang respektierte, ja sie darum beneidete, mied er ihn selbst wie die Pest. Aber er prahlte nicht mit seinem Arbeitsethos, sondern machte sich über seinen Produktionszwang lustig und nannte ihn eine harmlosere Art der Feigheit.
»Beim Arbeiten braucht man dem Leben nicht in die Augen zu schauen.«
Fast ohne es zu merken, wurden wir gute Freunde. Wir hatten vieles gemeinsam, vielleicht allzu vieles. Miquel erzählte mir von Büchern, von seinem angebeteten Dr. Freud, von Musik, vor allem aber von seinem alten Freund Julián. Wir sahen uns fast allwöchentlich. Er erzählte mir Geschichten aus Juliáns Tagen an der SanGabriel-Schule, Er hatte eine Sammlung alter Fotos und von einem halbwüchsigen Julián geschriebener Erzählungen. Er bewunderte Julián, und durch seine Worte und Erinnerungen entdeckte ich ihn allmählich, machte mir in seiner Abwesenheit ein Bild von ihm. Ein Jahr nachdem wir uns kennengelernt hatten, gestand mir Miquel Moliner, er habe sich in mich verliebt. Ich wollte ihn nicht verletzen, ebensowenig aber beschwindeln. Es war unmöglich, Miquel zu beschwindeln. Ich sagte ihm, ich schätze ihn über alles, er sei mein bester Freund geworden, aber verliebt sei ich nicht in ihn. Er sagte, das wisse er bereits.
»Du bist in Julián verliebt, weißt es aber noch nicht.«
Im August 1933 kündigte mir Julián brieflich an, er habe das Manuskript eines neuen Romans mit dem Titel Der Kathedralendieb beinahe beendet. Im September mußte Cabestany mit Gallimard einige Verträge erneuern, doch seit Wochen war er durch einen Gichtanfall zur Untätigkeit verurteilt und schickte deshalb – und zur Belohnung für meine Hingabe – an seiner Stelle mich nach Paris, um die neuen Verträge auszuhandeln und gleichzeitig Julián zu besuchen und seinen jüngsten Roman mitzunehmen. Ich kündigte Julián meinen Besuch für Mitte September an
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