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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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Bediensteten, Jacinta noch am selben Tag aus dem Haus zu werfen, ohne daß er sie noch einmal zu sehen geruhte, und drohte ihnen dasselbe Los an, falls sich irgend jemand von ihnen mit ihr in Verbindung setze.
    Als er in die Bibliothek hinunterging, war es bereits Mitternacht. Er hatte Penélope in Jacintas ehemaligem Zimmer eingeschlossen und verbot allen, Familienmitgliedern wie Angestellten, strikt, zu ihr hinaufzugehen. In seinem Zimmer hörte Jorge seine Eltern im unteren Stock miteinander sprechen. Mitten in der Nacht kam der Arzt. Señora Aldaya führte ihn in das Zimmer, in dem Penélope eingeschlossen war, und wartete in der Tür, während er sie untersuchte. Als er wieder herauskam, nickte der Arzt nur und nahm seine Bezahlung entgegen. Jorge hörte, wie Don Ricardo zu ihm sagte, wenn er jemandem erzähle, was er gesehen habe, werde er persönlich seinen Ruf ruinieren und zu verhindern wissen, daß er je wieder praktiziere. Sogar Jorge war klar, was das bedeutete.
    Jorge erzählte Miquel, daß er sich um Julián und Penélope große Sorgen machte. Noch nie hatte er seinen Vater von solchem Zorn besessen gesehen. Auch wenn er ermessen konnte, wie groß die von den Liebenden begangene Sünde war, so verstand er doch die Tragweite dieses Zorns nicht. Da muß sonst noch etwas sein, sagte er. Don Ricardo hatte bereits angeordnet, Julián aus der San-Gabriel-Schule hinauszuwerfen, und sich mit seinem Vater, dem Hutmacher, in Verbindung gesetzt, um ihn unverzüglich in die Armee zu schicken. Als Miquel das hörte, war ihm klar, daß er Julián nicht die Wahrheit sagen konnte. Wenn er ihm erzählte, daß Don Ricardo Penélope eingeschlossen hatte und daß sie vermutlich schwanger war, würde er niemals den Zug nach Paris besteigen. Aber wenn er in Barcelona bliebe, wäre das sein Ende. So beschloß er, ihn anzuschwindeln und nach Paris fahren zu lassen, ohne daß er wußte, was geschehen war, und im Glauben, über kurz oder lang würde Penélope ihm nachfolgen. Als er sich an diesem Tag in der Estación de Francia von Julián verabschiedete, redete er sich ein, noch sei nicht alles verloren.
    Tage später, als ruchbar wurde, daß Julián verschwunden war, tat sich die Hölle auf. Don Ricardo Aldaya schäumte. Er setzte ein halbes Polizeikommando auf die Suche und Festnahme des Flüchtigen an, erfolglos. Da beschuldigte er den Hutmacher, den vereinbarten Plan sabotiert zu haben, und drohte ihm den absoluten Ruin an. Der Hutmacher, der nichts verstand, bezichtigte wiederum seine Frau Sophie, die Flucht dieses infamen Sohnes ausgeheckt zu haben, und drohte ihr damit, sie für immer auf die Straße zu setzen. Niemand kam auf die Idee, daß Miquel Moliner alles ersonnen hatte. Niemand außer Jorge Aldaya, der ihn zwei Wochen später aufsuchte. Er war nicht mehr das Angst- und Nervenbündel wie noch wenige Tage zuvor. Das war ein anderer, erwachsener Jorge Aldaya, der seine Unschuld verloren hatte. Was auch immer sich hinter Don Ricardos Wut verbergen mochte, Jorge hatte es herausgekriegt. Was er zu sagen hatte, war bündig: Er wisse, daß Miquel es gewesen sei, der Julián zur Flucht verholfen habe, sie seien keine Freunde mehr, er wolle ihn nie wiedersehen und werde ihn umbringen, wenn er jemandem erzähle, was er ihm vor vierzehn Tagen berichtet habe.
    Einige Wochen später erhielt Miquel den Brief, den ihm Julián unter falschem Namen aus Paris schickte, worin er ihm seine Adresse mitteilte und sagte, es gehe ihm gut und er vermisse ihn, und sich nach seiner Mutter und Penélope erkundigte. Eingeschlossen war ein Brief an letztere, den Miquel von Barcelona aus weiterschicken sollte – der erste von vielen, welche Penélope nie zu Gesicht bekommen sollte. Miquel schrieb Julián wöchentlich und erzählte ihm nur das, was er für angebracht hielt, also sozusagen nichts. Julián seinerseits berichtete von Paris, davon, wie schwer ihm alles falle, wie allein und verzweifelt er sich fühle. Miquel schickte ihm Geld, Bücher und seine Freundschaft. Mit jedem Brief sandte Julián auch einen für Penélope. Miquel schickte sie von verschiedenen Postämtern aus weiter, obwohl er wußte, daß es sinnlos war. In seinen Briefen fragte Julián unermüdlich nach ihr. Miquel konnte ihm nichts sagen. Von Jacinta wußte er, daß sie das Haus in der Avenida del Tibidabo nicht mehr verlassen hatte, seit ihr Vater sie im Zimmer im dritten Stock eingeschlossen hatte.
    Eines Abends trat ihm Jorge Aldaya zwei Blocks von seinem Haus

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