Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
Vermögen, das ich nicht besaß, doch der Pfandleiher sagte, er würde einen Scheck in Peseten akzeptieren, der auf eine beliebige spanische Bank mit Filiale in Paris ausgestellt sei. Meine Mutter hatte mir schon vor Jahren versprochen, eisern zu sparen, um mir dereinst ein Brautkleid kaufen zu können. Victor Hugos Füllfederhalter gab meinem Schleier den Gnadenstoß, und obwohl ich wußte, daß es verrückt war, habe ich nie lieber für etwas Geld ausgegeben. Als ich mit dem Etui aus der Pfandleihe kam, bemerkte ich, daß mir eine Frau folgte. Es war eine sehr elegante Dame mit silbernem Haar und den blausten Augen, die ich je gesehen hatte. Sie trat auf mich zu und stellte sich vor. Es war Irène Marceau, Juliáns Beschützerin. Mein Führer Hervé hatte ihr von mir erzählt. Sie wollte mich einfach kennenlernen und mich fragen, ob ich die Frau sei, auf die Julián in den ganzen Jahren gewartet hatte. Sie nickte nur und küßte mich auf die Wange. Ich sah sie die Straße hinunter davongehen, und da war mir klar, daß Julián nie mir gehören würde, daß ich ihn verloren hatte, noch bevor wir richtig angefangen hatten. Das Etui mit dem Füllfederhalter in der Tasche verborgen, ging ich in die Mansarde zurück. Julián war aufgewacht und wartete auf mich. Wortlos zog er mich aus, und wir liebten uns zum letzten Mal. Als er mich fragte, warum ich weine, sagte ich, es seien Tränen des Glücks. Später, als er hinunterging, um etwas zu essen zu holen, packte ich meinen Koffer und legte das Etui mit der Feder auf seine Schreibmaschine. Ich steckte das Manuskript seines Romans in den Koffer und ging, ehe Julián zurückkam. Auf dem Treppenabsatz traf ich Monsieur Darcieu, den alten Zauberkünstler, der den Mädchen für einen Kuß aus der Hand las. Er nahm meine Linke und schaute mich traurig an.
»Vous avez du poison au cœur, mademoiselle.«
Als ich ihm meinen Tribut entrichten wollte, schüttelte er sanft den Kopf und küßte mir seinerseits die Hand.
Ich kam eben rechtzeitig zur Gare d’Austerlitz, um den Zwölf-Uhr-Zug nach Barcelona zu nehmen. Der Schaffner, der mir die Fahrkarte verkaufte, fragte, ob es mir gutgehe. Ich nickte und zog mich in mein Abteil zurück. Der Zug fuhr bereits ab, als ich aus dem Fenster schaute und Juliáns Gestalt auf dem Bahnsteig erblickte, genau dort, wo ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Ich schloß die Augen und öffnete sie erst wieder, als der Zug den Bahnhof und diese verhexte Stadt, in die ich nie würde zurückkehren können, verlassen hatte. Im Morgengrauen des folgenden Tages kam ich in Barcelona an. An diesem Tag wurde ich vierundzwanzig und wußte, daß das Beste meines Lebens bereits Vergangenheit war.
2
Wieder in Barcelona, ließ ich einige Zeit verstreichen, bevor ich Miquel Moliner aufsuchte. Ich mußte Julián vergessen, und mir wurde klar, daß ich keine Antwort wüßte, wenn mich Miquel nach ihm fragen würde. Als wir uns wiedersahen, brauchte ich ihm gar nichts zu sagen. Er schaute mir bloß in die Augen und nickte. Er erschien mir dünner als vor meiner Reise nach Paris, das Gesicht war fast krankhaft blaß, was ich dem Übermaß an Arbeit zuschrieb, mit der er sich kasteite. Er gestand mir, er befinde sich in wirtschaftlicher Bedrängnis, denn er hatte fast das ganze geerbte Geld für seine philanthropischen Schenkungen ausgegeben, und jetzt versuchten ihn die Anwälte seiner Geschwister aus seinem kleinen Palast zu werfen mit dem Argument, eine Klausel im Testament des alten Moliner spezifiziere, daß Miquel nur unter der Voraussetzung dort wohnen könne, daß er das Haus in gutem Zustand erhalte und die erforderliche Solvenz beweisen könne. Andernfalls gehe der Palast in der Calle Puertaferrisa an seine andern Geschwister über.
»Mein Vater hat geahnt, daß ich sein Geld bis auf den letzten Heller für all das ausgeben würde, was er sein Leben lang gehaßt hat.«
Seine Einkünfte als Kolumnist und Übersetzer erlaubten es ihm bei weitem nicht, so einen Wohnsitz zu unterhalten.
»Das schwierige ist nicht, einfach so Geld zu verdienen«, klagte er. »Das schwierige ist, es mit etwas zu verdienen, was es wert ist, daß man ihm sein Leben widmet.«
Ich vermutete, er beginne heimlich zu trinken. Manchmal zitterten seine Hände. Ich besuchte ihn jeden Sonntag und nötigte ihn hinaus, weg von seinem Schreibtisch und seinen Lexika. Ich wußte, daß es ihn schmerzte, mich zu sehen, und tat, als erinnerte ich mich nicht mehr, daß er mir seine Liebe erklärt
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