Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
angrenzenden Anwesen. Ich lächelte ihm zu, wie es nur jemand kann, der viele Stunden hinter einem Ladentisch verbracht hat.
»Einen schönen guten Morgen«, sagte ich herzlich. »Wissen Sie, ob das Haus der Aldayas schon lange verschlossen ist?«
Das Männchen schaute mich an, als hätte ich eine Frage zur Quadratur des Kreises gestellt. Er nahm das Kinn in seine gelben Finger, die eine Schwäche für Celtas ohne Filter verrieten. Leider hatte ich keine Zigaretten bei mir, um mich bei ihm einzuschmeicheln, und so wühlte ich in den Taschen, um ihn mir mit etwas anderem geneigt zu machen.
»Mindestens zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre, und so soll es auch bleiben«, sagte der Pförtner in dem gequetschten, fügsamen Ton von Leuten, die zum Dienen geprügelt worden sind.
»Sind Sie schon lange hier?«
Er nickte.
»Ich bin hier bei den Herrschaften Miravell seit Anno 20 angestellt.«
»Sie haben nicht vielleicht eine Ahnung, was aus der Familie Aldaya geworden ist, oder?«
»Nun, Sie wissen ja wohl, daß sie in der Zeit der Republik viel Geld verloren haben. Wer Zwietracht sät … Das wenige, das ich weiß, habe ich bei den Herrschaften Miravell aufgeschnappt, die früher mit der Familie befreundet waren. Ich glaube, der ältere Sohn, Jorge, ist ins Ausland gegangen, nach Argentinien. Offenbar hatten sie dort Fabriken. Leute mit sehr viel Geld. Die fallen immer wieder auf die Füße. Sie haben nicht vielleicht ein Zigarettchen?«
»Tut mir leid, aber ich kann Ihnen ein Zitronenbonbon anbieten, das erwiesenermaßen genausoviel Nikotin hat wie eine Montecristo und dazu eine Unmenge Vitamine.«
Ungläubig runzelte der Pförtner die Stirn, aber er nickte. Ich reichte ihm das Zitronenbonbon, das mir Fermín vor einer Ewigkeit gegeben und das ich im Futter meiner Tasche entdeckt hatte. Ich hoffte, es wäre noch nicht verdorben.
»Schmeckt gut«, urteilte der Pförtner, während er nach Kräften an dem gummigen Bonbon lutschte.
»Sie kauen den Stolz der nationalen Süßwarenindustrie. Der Generalissimus schluckt sie wie Zuckermandeln. Und sagen Sie, haben Sie je von der Aldaya-Tochter gehört, von Penélope?«
Er stützte sich auf den Besen.
»Ich glaube, Sie irren sich. Die Aldayas hatten keine Töchter. Es waren alles Jungen.«
»Sind Sie da sicher? Ich weiß, daß damals, im Jahr 19, in diesem Haus ein junges Mädchen namens Penélope Aldaya gewohnt hat, wahrscheinlich die Schwester dieses Jorge.«
»Könnte schon sein, aber ich sag Ihnen ja, ich bin erst seit Anno 20 da.«
»Und wem gehört das Haus jetzt?«
»Soviel ich weiß, ist es noch zum Verkauf ausgeschrieben, obwohl man davon gesprochen hat, es abzureißen und eine Schule hinzusetzen. Das ist das Beste, was man tun kann, ehrlich. Es bis auf die Grundmauern niederreißen.«
»Warum meinen Sie?«
Er schaute mich vertraulich an. Als er lächelte, sah ich, daß ihm oben mindestens vier Zähne fehlten.
»Diese Leute, die Aldayas. Die waren nicht ganz koscher, Sie wissen ja, was man so sagt.«
»Ich fürchte nein. Was sagt man denn so?«
»Sie wissen ja. Die Gerüchte und so. Ich glaube natürlich nicht an diese Märchen, nicht wahr, aber da drin soll sich mehr als einer in die Hosen gemacht haben.«
»Sie wollen mir ja wohl nicht weismachen, in dem Haus spukt’s.«
»Lachen Sie nur. Aber an jedem Gerücht ist was Wahres.«
»Haben Sie denn etwas gesehen?«
»Wirklich gesehen nicht. Aber gehört.«
»Gehört? Was denn?«
»Sehen Sie, einmal, vor Jahren, eines Nachts, als ich den Joanet begleitet habe, weil er doch darauf beharrt hat, verstehen Sie, ich hatte da ja nichts verloren … Ja, wie ich sagte, da hab ich was Merkwürdiges gehört. Wie ein Weinen.«
Er imitierte das Geräusch. Es kam mir vor wie die Litanei eines Schwindsüchtigen, der ein Volksliedchen trällert.
»Das wird der Wind gewesen sein.«
»Wahrscheinlich, aber mir sind die Haare zu Berge gestanden, ehrlich. Hören Sie, Sie haben nicht vielleicht noch so ein kleines Lutscherchen, wie?«
»Wenn ich Ihnen eine Salmiakpastille anbieten darf – sie wirken stärkend nach dem Süßen.«
»Her damit.« Der Pförtner hielt mir die offene Hand entgegen.
Ich gab ihm die ganze Schachtel. Die Lakritze schien ihm die Zunge noch ein wenig mehr für diese saftige Geschichte der Aldaya-Villa zu schmieren.
»Ganz unter uns, da gibt es ’ne Menge zu erzählen. Einmal, da hat der Joanet, der Sohn von Señor Miravell, der ein Brocken ist, zweimal so groß wie Sie – ich brauch Ihnen nur zu sagen, daß er in der
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