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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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die die Schilderung genommen hatte, bekreuzigte sich die Merceditas erschrocken.
»Als die Mütter von einigen der armen Geschöpfe benachrichtigt wurden, haben sie Anzeige wegen Verstoßes gegen die elementarste Moral erstattet. Sogleich bekam die Presse Wind von dem gefundenen Fressen, und die Zeitung El Caso berichtet in ihrer heutigen Ausgabe von dem Ereignis, das sie als dantesk und schaudererregend bezeichnet.«
»Das darf doch nicht wahr sein«, sagte mein Vater. »Wo es schon so ausgesehen hat, als hätte Don Federico aus seinen Erfahrungen gelernt.«
Don Anacleto nickte pastoral.
»Ja, aber noch haben Sie das Schlimmste nicht gehört. Anscheinend ist der Uhrmacher schon zweimal unter ähnlichen Umständen festgenommen worden, wie in den Annalen des Kriminalgeschehens von den Ordnungshütern festgehalten ist.«
»Sagen Sie eher, von den Bösewichten mit Erkennungsmarke«, schnauzte Fermín.
»In die Politik mische ich mich nicht ein. Aber ich kann Ihnen sagen, daß die beiden Polizisten den armen Don Federico von der Bühne heruntergeprügelt und aufs Revier in der Vía Layetana mitgenommen haben. Unter andern Umständen wäre es mit ein wenig Glück bei einem Scherz und vielleicht zwei Ohrfeigen geblieben, aber unglücklicherweise war es so, daß gestern abend der berühmte Inspektor Fumero Dienst hatte.«
»Fumero«, stöhnte Fermín, den die bloße Erwähnung des Inspektors erschauern ließ.
»Höchstpersönlich. Wie ich sagte, wurde dieser Ordnungshüter von der verängstigten Mutter eines der auf Abwege gebrachten Burschen aus dem Armenhaus über die Ereignisse informiert. Er gab dem diensttuenden Sergeanten zu verstehen, eine solche Schweinerei verdiene die höchste Strafe und was dem Uhrmacher, also Don Federico Flaviá i Pujades, zustehe, sei eine Nacht im Gemeinschaftsgefängnis im untersten Kellergeschoß des Polizeireviers.«
An diesem Punkt begann Don Anacleto, ein kurzes, aber herzliches Porträt vom Charakter des Opfers zu zeichnen, obwohl es allen bestens bekannt war.
»Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, daß Señor Flaviá i Pujades mit einer schwachen, zartfühlenden Persönlichkeit gesegnet ist, ganz Güte und christliche Frömmigkeit. Wenn sich eine Fliege in die Uhrmacherei verirrt, klatscht er sie nicht mit seinem Hanfschuh zu Tode, sondern öffnet Tür und Fenster sperrangelweit, damit die Zugluft dieses Geschöpf des Herrn in dessen freie Natur zurückträgt. Leider hat Don Federico zeit seines Lebens mit einem unheilvollen Hang zum Laster zusammenleben müssen, das ihn in ganz seltenen Fällen übermannt und als Weibsperson verkleidet auf die Straße hinausgespült hat. Sein Geschick, von der Armbanduhr bis zur Nähmaschine alles zu reparieren, ist immer sprichwörtlich gewesen und seine Person von allen geschätzt worden, die wir ihn gekannt und in seinem Geschäft verkehrt haben, selbst von denen, die mit seinen gelegentlichen nächtlichen Eskapaden mit Perücke, Zierkamm und getupftem Kleid nicht einverstanden waren.«
»Sie sprechen, als wäre er tot«, sagte Fermín konsterniert.
»Tot nicht, Gott sei Dank.«
Ich seufzte erleichtert auf. Don Federico wohnte bei seiner achtzigjährigen, stocktauben Mutter, die im Viertel als die Pepita bekannt und für ihre orkanartigen Winde berühmt war.
»Die Pepita dürfte sich kaum vorgestellt haben«, fuhr der Dozent fort, »daß ihr Federico die Nacht in einer schmutzigen Zelle verbracht hatte, wo ein Chor von Luden und Messerstechern sich um ihn riß und ihm danach eine Mordstracht Prügel verpaßte.«
Grabesstille legte sich über uns. Die Merceditas schluchzte. Fermín wollte ihr zum Trost zärtlich den Arm umlegen, doch mit einem Sprung riß sie sich los.
»Stellen Sie sich das Bild vor«, schloß Don Anacleto.
Der Epilog der Geschichte machte nichts besser. Gegen zehn Uhr vormittags hatte ein grauer Lieferwagen des Polizeipräsidiums Don Federico vor seiner Haustür liegenlassen. Er war blutüberströmt, das Kleid hing ihm in Fetzen vom Leib, seine Perücke und die ganzen Klunker waren verschwunden. Man hatte ihn angepißt, und sein Gesicht war mit Quetschungen und Schnitten übersät. Der Sohn der Bäckerin hatte ihn gefunden, ein Häufchen Elend, das zitternd im Hauseingang kauerte.
»Das gibt es doch nicht, mein Gott«, sagte die Merceditas in der Tür der Buchhandlung, in weiser Entfernung von Fermíns Händen. »Der arme Kerl, wo er doch ein so herzensguter Mensch ist, der sich mit keinem anlegt. Und wenn er sich gern als

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