Barcelona 01 - Der Schatten des Windes
HandballNationalmannschaft ist … Also einige Kumpel von Señorito Joanet hatten von dem Aldaya-Haus gehört und ihn breitgeschlagen. Und er mich, damit ich mit ihm gehe – zwar viel Geschwätz, aber dann doch kein Mumm, um allein hineinzugehen. Sie wissen ja, verwöhnte Söhnchen. Er wollte unbedingt in der Nacht da rein, um sich bei der Freundin als Held aufzuspielen, und fast hätte er in die Hose gepinkelt. Jetzt sehen Sie es ja bei Tag, aber nachts ist das ein ganz anderes Haus, verstehen Sie? Jedenfalls sagt der Joanet, er ist in den zweiten Stock hinaufgegangen, ich habe mich nämlich geweigert, da reinzugehen, nicht wahr, so was ist ja bestimmt nicht erlaubt, obwohl das Haus damals sicher schon zehn Jahre leer gestanden hat, und da sagt er, da ist was. Er hat so was wie eine Stimme in einem Zimmer zu hören geglaubt, und als er rein wollte, ist ihm die Tür vor der Nase zugefallen. Wie finden Sie das?«
»Ich finde, das war ein Luftzug.«
»Oder ein Zug von was anderem«, sagte er und senkte die Stimme. »Neulich haben sie es im Radio gesagt: Die Welt ist voller Geheimnisse. Stellen Sie sich vor, jetzt haben sie offenbar das echte Schweißtuch Christi hier bei uns in Sardanyola gefunden. Es war auf die Leinwand eines Kinos genäht, um es vor den Arabern zu verstecken, die wollten es, damit sie sagen konnten, Jesus Christus wäre schwarz gewesen. Wie finden Sie das?«
»Mir fehlen die Worte.«
»Ich sag’s ja. Viele Geheimnisse. Dieses Haus müßte abgerissen und dann Kalk aufs Gelände gestreut werden.«
Ich bedankte mich bei dem Alten für die Auskunft und begann die Avenida nach San Gervasio zurückzugehen. Als ich aufschaute, sah ich, wie der Tibidabo-Hügel zwischen Gazewolken erwachte. Auf einmal wäre ich am liebsten zur Zahnradbahn gegangen, um zum alten Rummelplatz hinaufzufahren und mich zwischen den Karussells und Automatensalons zu verirren, aber ich hatte versprochen, rechtzeitig in der Buchhandlung zu sein. Auf dem Rückweg zum U-Bahnhof stellte ich mir vor, wie Julián Carax dieselben feierlichen Fassaden bestaunte, die sich seit damals kaum verändert hatten mit ihren Treppen und Statuen, und wie er vielleicht auf die Blaue Straßenbahn gewartet hatte, die jetzt gleichsam auf Zehenspitzen zum Himmel hinauffuhr.
5
Wieder zu Hause, sah ich, daß Fermín oder mein Vater die Buchhandlung schon geöffnet hatte. Ich ging auf einen Sprung in die Wohnung hinauf, um etwas zu essen. Mein Vater hatte mir Toastscheiben, Marmelade und eine Thermoskanne Kaffee auf dem Eßtisch bereitgestellt. Ich griff tüchtig zu und war in weniger als zehn Minuten wieder unten. Ich betrat den Laden von der Eingangshalle des Hauses aus durch den Hinterraum, wo ich den Kittel aus meinem Schrank nahm, mit dem ich die Kleider vor dem Staub von Kisten und Regalen zu schützen pflegte. Hinten im Schrank verwahrte ich eine noch immer nach Camprodón-Keksen riechende Blechdose mit allerlei unnützem Kram, von dem ich mich nicht trennen konnte: unrettbar beschädigte Uhren und Federhalter, alte Münzen, verblaßte Miniaturen, Murmeln, im Park des Labyrinths gefundene Patronenhülsen und alte Postkarten vom Barcelona der Jahrhundertwende. Mitten darin lag der Zeitungsfetzen, auf den mir Isaac Monfort in der Nacht, in der ich den Friedhof der Vergessenen Bücher aufgesucht hatte, um Der Schatten des Windes zu verstecken, die Adresse seiner Tochter Nuria geschrieben hatte. Ich steckte ihn in meinen Geldbeutel und schloß die Dose.
Mit einem »Guten Morgen« trat ich in den Laden. Fermín war mit dem Sortieren mehrerer Kisten befaßt, die von einem Sammler aus Salamanca gekommen waren, und mein Vater mühte sich damit ab, einen deutschen Katalog von Luther-Schriften zu entziffern.
»Und einen noch besseren Nachmittag«, trällerte Fermín in Anspielung auf mein Rendezvous mit Bea.
Ich tat ihm nicht den Gefallen zu antworten, sondern machte mich an die allmonatliche Unannehmlichkeit, die Buchhaltung à jour zu bringen, Quittungen und Lieferscheine, Außenstände und Zahlungen gegeneinanderzuhalten. Das Radio beglückte unsere monotone Arbeit mit ausgewählten Momenten der Karriere von Antonio Machín, der damals sehr in Mode war. Meinem Vater gingen die karibischen Rhythmen ein wenig auf die Nerven, aber er nahm sie hin, weil sie Fermín an sein ersehntes Kuba erinnerten. Die Szene wiederholte sich Woche für Woche: Mein Vater stellte sich taub, und Fermín gab sich in unruhigen Bewegungen dem Takt der Habanera hin und füllte die
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