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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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Julián Carax vorstellen?«
»Der Schatten des Windes«, las sie und strich über die goldenen Buchstaben des Umschlags.
»Kann ich es mitnehmen?« fragte sie.
»Jedes außer diesem.«
»Aber das ist ungerecht. Nach allem, was du mir erzählt hast, möchte ich gerade dieses.«
»Ein andermal vielleicht. Aber heute nicht.«
Ich nahm es ihr aus den Händen und verwahrte es wieder an seinem Ort.
»Ich werde ohne dich zurückkommen und es mitnehmen, und du wirst nichts davon erfahren«, spottete sie.
»Du würdest es in tausend Jahren nicht finden.«
»Das meinst bloß du. Ich habe deine Markierungen schon gesehen und kenne auch die Geschichte vom Minotaurus.«
»Isaac würde dich nicht reinlassen.«
»Da irrst du dich. Ich bin ihm sympathischer als du.«
»Woher willst du denn das wissen?«
»Ich kann Blicke lesen.«
Gegen meinen Willen glaubte ich ihr und schaute weg.
»Nimm irgendein anderes. Schau, das hier klingt vielversprechend. Das Hochlandschwein, das unbekannte Wesen – Auf der Suche nach den Wurzeln der iberischen Sau, von Anselmo Torquemada. Davon sind bestimmt mehr Exemplare verkauft worden als von jedem Roman von Julián Carax. Vom Schwein kann man alles brauchen.«
»Das andere da macht mich mehr an.«
» Tess of the d’Urbervilles. Es ist die Originalausgabe. Wagst du dich auf englisch an Thomas Hardy ran?«
Sie schaute mich mißbilligend an.
»Es ist dein.«
»Na also. Es scheint doch ganz, als würde es auf mich warten. Als wäre es seit vor meiner Geburt für mich hier versteckt gewesen.«
Verdutzt schaute ich sie an. Sie verzog den Mund zu einem Lächeln.
»Was habe ich denn gesagt?«
Da küßte ich sie, ohne nachzudenken, leicht auf die Lippen.
Es war nahezu Mitternacht, als wir vor ihrer Haustür ankamen. Wir hatten fast den ganzen Weg schweigend zurückgelegt, da wir nicht auszusprechen wagten, was wir dachten. Wir gingen getrennt, verbargen uns voreinander. Mit ihrer Tess unter dem Arm schritt Bea kerzengerade dahin, und ich folgte ihr eine Spanne zurück, die Berührung des Kusses auf den Lippen. Noch spürte ich Isaacs Blick beim Verlassen des Friedhofs der Vergessenen Bücher. Es war ein Blick, den ich gut kannte, den ich tausendmal bei meinem Vater gesehen hatte, ein Blick, der mich fragte, ob ich eigentlich die leiseste Ahnung habe, was ich tue. Die letzten Stunden hatten sich in einer andern Welt abgespielt, einer Welt von Blicken, die ich nicht begriff und die mir den Verstand raubten. Jetzt, auf dem Rückweg in die Wirklichkeit des EnsancheViertels, löste sich der Bann, und ich empfand nur noch schmerzliches Verlangen und namenlose Unruhe. Ein bloßer Blick auf Bea zeigte mir, daß der Sturm auch sie durcheinandergebracht hatte. Wir blieben vor der Tür stehen und schauten uns an, ohne uns auch nur im geringsten zu verstellen. Ein sangesfreudiger Nachtwächter kam gemächlich näher und trällerte Boleros, wozu er sich mit dem angenehmen Geklingel seiner Schlüsselbüschel begleitete.
»Vielleicht wäre es dir lieber, wenn wir uns nicht mehr sehen«, sagte ich ohne Überzeugung.
»Ich weiß nicht, Daniel. Ich weiß gar nichts. Möchtest du das wirklich?«
»Nein, natürlich nicht. Und du?«
Sie zuckte die Schultern.
»Was glaubst du denn?« fragte sie. »Vorher habe ich dich belogen, im Kreuzgang.«
»Womit?«
»Daß ich dich heute nicht sehen wollte.«
Der Nachtwächter ging mit einem flüchtigen Lächeln um uns herum, scheinbar gleichgültig gegenüber meiner ersten Haustürturtelszene, die einem so alten Fuchs banal und abgedroschen erscheinen mußte.
»Meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu beeilen«, sagte er.
»Ich werde an der Ecke mal ein Zigarettchen schmauchen, Sie können mir dann sagen, wenn’s soweit ist.«
Ich wartete, bis er vorbei war.
»Wann werde ich dich wiedersehen?«
»Ich weiß es nicht, Daniel.«
»Morgen?«
»Bitte, Daniel. Ich weiß es nicht.«
Ich nickte. Sie fuhr mir mit den Fingern zärtlich übers Gesicht.
»Besser, du gehst jetzt.«
»Weißt du wenigstens, wo du mich finden kannst?«
Sie nickte.
»Ich werde warten.«
»Ich auch.«
Als ich ging, kam bereits der Nachtwächter daher, um aufzuschließen.
»Schamloser Kerl«, flüsterte er mir im Vorbeigehen zu, nicht ohne eine gewisse Bewunderung. »Wirklich ein süßer Käfer.«
Ich wartete, bis Bea im Haus verschwunden war, und ging dann leichten Schrittes davon, immer wieder zurückschauend. Langsam beschlich mich die absurde Gewißheit, daß alles möglich war, und ich hatte das Gefühl, selbst diese

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