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Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Barcelona 01 - Der Schatten des Windes

Titel: Barcelona 01 - Der Schatten des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafon
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lachten einige oder warfen mit Steinen nach ihm. Als Julián eines Tages sah, wie ihm ein Stein die Stirn aufschlug und ihn zu Boden warf, verspürte er solches Mitleid mit ihm, daß er ihm zu Hilfe eilte und ihm seine Freundschaft antrug. Zuerst dachte Javier, Julián wolle ihm noch den Rest geben, während sich die andern vor Lachen kugelten.
»Ich heiße Julián«, sagte er und reichte ihm die Hand.
»Meine Freunde und ich wollten im Pinienwäldchen einige Partien Schach spielen, und ich habe mich gefragt, ob du vielleicht mitmachen magst.«
»Ich kann nicht Schach spielen.«
»Bis vor ein paar Wochen konnte ich es auch nicht. Aber Miquel ist ein guter Lehrer …«
Der Junge blickte mißtrauisch, erwartete jeden Moment den Spott, den versteckten Angriff.
»Ich weiß nicht, ob deine Freunde wollen, daß ich mit euch zusammen bin …«
»Es war ihre Idee. Was meinst du?«
Von diesem Tag an gesellte sich Javier manchmal zu ihnen, wenn er die ihm übertragenen Aufgaben erledigt hatte. Immer hörte und schaute er schweigend den andern zu. Aldaya hatte ein wenig Angst vor ihm. Fernando, der die Verachtung der Mitschüler wegen seiner einfachen Herkunft am eigenen Leib erfahren hatte, konnte mit dem rätselhaften Jungen nicht liebenswürdig genug sein. Miquel Moliner, der ihm die Grundbegriffe des Schachspiels beigebracht hatte, beobachtete ihn mit einem klinischen Auge, er war von allen der am wenigsten Überzeugte.
»Der hat doch einen Knall. Jagt Katzen und Tauben und quält sie dann stundenlang mit seinem Messer. Danach verscharrt er sie im Pinienwäldchen. Was für eine Wonne!«
»Wer sagt das?«
»Er selbst hat es mir neulich erzählt, als ich ihm den Rösselsprung erklärte. Er hat mir auch erzählt, daß seine Mutter nachts manchmal zu ihm ins Bett schlüpft und ihn befummelt.«
»Der hat dich bestimmt auf den Arm genommen.«
»Das bezweifle ich. Dieser Bursche ist nicht richtig im Kopf, Julián, und wahrscheinlich ist es nicht seine Schuld.«
Julián bemühte sich, Miquels Warnungen und Prophezeiungen zu überhören, aber auch ihm fiel es schwer, mit dem Sohn des Hausmeisters eine wirklich freundschaftliche Beziehung einzugehen. Yvonne mochte besonders Julián und Fernando Ramos nicht. Von der ganzen Schar junger Herren besaßen sie als einzige keinen Heller. Es hieß, Juliáns Vater sei ein einfacher Ladeninhaber und seine Mutter habe es nur eben zur Musiklehrerin gebracht. »Diese Leute haben weder Geld noch Rang, noch Eleganz, mein Liebling«, sagte sie zu Javier. »Gut für dich ist dagegen Aldaya, der kommt aus einer piekfeinen Familie.« – »Ja, Mutter«, antwortete er, »wie Sie meinen.« Mit der Zeit schien Javier zu seinen neuen Freunden Vertrauen zu fassen.
Gelegentlich tat er den Mund auf, und für Miquel Moliner schnitzte er zum Dank für dessen Unterricht eine Garnitur Schachfiguren. Eines schönen Tages, als es schon niemand mehr erwartete oder für möglich hielt, entdeckten sie, daß Javier lächeln, ja sogar jungenhaft lachen konnte.
»Siehst du? Er ist ein ganz normaler Junge wie alle andern auch«, sagte Julián.
Doch Miquel Moliner war keineswegs beruhigt und beobachtete Javier mit beinahe wissenschaftlichem Eifer und Argwohn.
»Javier ist von dir besessen, Julián«, sagte er eines Tages zu ihm. »Er tut alles, um deine Anerkennung zu finden.«
»So ein Quatsch! Dazu hat er ja schon einen Vater und eine Mutter, ich bin bloß ein Freund.«
»Ahnungslos, das ist es, was du bist. Sein Vater ist ein armer Mann, der schon Mühe hat, beim Scheißen den Hintern zu finden, und Doña Yvonne ist ein Drachen mit einem Flohhirn, der einem den lieben langen Tag wie zufällig in Unterwäsche über den Weg läuft und sich für María Guerrero oder etwas noch Schlimmeres hält, das ich lieber nicht nenne. Natürlich sucht der Junge einen Ersatz, und du fällst wie ein rettender Engel vom Himmel und reichst ihm die Hand. Der heilige Julián vom Brunnen, Beschützer der Enterbten.«
»Dieser Dr. Freud weicht dir das Hirn auf, Miquel. Wir alle brauchen Freunde, selbst du.«
»Javier hat keine Freunde und wird nie welche haben. Er hat die Seele einer Spinne. Wir werden ja sehen. Ich frage mich, wovon er träumt …«
Miquel Moliner konnte nicht ahnen, daß Javiers Träume denen seines Freundes Julián ähnlicher waren, als er es für möglich gehalten hätte. Als der Sohn des Hausmeisters einmal, Monate vor Juliáns Eintritt in die Schule, im Brunnenhof das dürre Laub einsammelte, fuhr Don Ricardo Aldayas

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