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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Nickerchen, die man nur an Bord solch einer mechanischen Missgeburt genießen kann, und mich umfing der Traum des modernen Menschen. Ich durchquerte in einem Zug aus schwarzen Knochen und sargförmigen Wagen ein menschenleeres Barcelona, in dem überall leere Kleider lagen, als hätten sich alle Körper verflüchtigt. Eine Steppe aus Hüten und Kleidern, Anzügen und Schuhen bedeckte die zu Stille verdammten Straßen. Die Lokomotive puffte eine scharlachrote Rauchfahne aus, die sich wie vergossene Farbe über den Himmel ausbreitete. Neben mir saß lächelnd der Patron, ganz in Weiß und mit Handschuhen. Von seinen Fingerspitzen troff etwas Dunkles, Gallertartiges.
    »Was ist mit den Leuten geschehen?«
    »Haben Sie Vertrauen, Martín. Haben Sie Vertrauen.«
    Als ich erwachte, glitt die Straßenbahn soeben langsam auf die Plaza de Sarrià. Noch bevor sie ganz zum Stillstand gekommen war, sprang ich ab und begann die Calle Mayor de Sarrià hinaufzusteigen. Eine Viertelstunde später gelangte ich an mein Ziel.
    Die Carretera de Vallvidrera entsprang einem schattigen Waldstück hinter dem schlossartigen roten Backsteinbau des Colegio San Ignacio. Die bergan steigende, laubbedeckte Straße war von einsamen alten Häusern gesäumt. Niedrige Wolken zogen die Bergflanke entlang und lösten sich in Nebelfetzen auf. Ich wählte die Seite mit den ungeraden Hausnummern und versuchte beim Gehen an Mauern und Gittertoren die Ziffern zu lesen. Auf der anderen Seite sah man Fassaden aus verrußtem Stein und trocken gefallene Brunnen zwischen unkrautüberwucherten Pfaden. Ein Stück des Gehsteigs war von einer langen Reihe Zypressen überschattet, und ich sah, dass die Nummerierung von elf zu fünfzehn sprang. Verwirrt ging ich zurück und suchte die Dreizehn. Schon argwöhnte ich, Anwalt Valeras Sekretärin sei doch gerissener, als ich gedacht hatte, und habe mir eine falsche Adresse angegeben, als ich eine Passage gewahrte, die vom Bürgersteig aus über fast fünfzig Meter zu einem dunklen Gitterzaun mit einem Lanzenkamm führte.
    Durch dieses schmale Gässchen ging ich auf den Zaun zu. Ein verwilderter Garten hatte ihn überwuchert, und zwischen den Lanzen des Zauns ragten die Zweige eines Eukalyptus hervor wie flehende Arme zwischen den Stäben einer Gefängniszelle. Ich schob die Blätter beiseite, die einen der gemauerten Pfeiler verdeckten, und stieß auf die in den Stein gehauenen Buchstaben und Zahlen.
    Haus Marlasca
    13
    Während ich dem Garten entlang den Zaun abschritt, versuchte ich hineinzuspähen. Nach etwa zwanzig Metern kam ich zu einer zwischen zwei Pfeilern eingelassenen Metalltür. Auf der verrosteten Eisenplatte ruhte ein Klopfer. Die Tür war nur angelehnt. Ich stieß sie mit der Schulter so weit auf, dass ich hindurchkam, ohne dass mir die aus dem Mauersockel ragenden Steinkanten die Kleider zerrissen. Ein unangenehmer Geruch nach nasser Erde lag in der Luft.
    Zwischen den Bäumen tat sich ein Pfad aus Marmorplatten auf und führte zu einem mit weißen Steinen gepflasterten Platz. Auf der einen Seite sah man eine Garage mit offener Tür und den Überresten eines Mercedes-Benz, der jetzt an einen seinem Schicksal überlassenen Leichenwagen erinnerte. Das Haus war ein Jugendstilbau, der sich in gebogenen Linien zu drei Stockwerken erhob und gekrönt war von einer Reihe in Türmen und Bögen zusammengedrängter Mansarden. Schmale Fenster, spitz wie Dolche, waren in die von Reliefs und Wasserspeiern übersäte Fassade eingelassen. In den Scheiben spiegelten sich die langsam vorüberziehenden Wolken. Hinter einem der Fenster im ersten Stock glaubte ich undeutlich ein Gesicht zu sehen.
    Ich hob die Hand zu einem angedeuteten Gruß – ich mochte nicht für einen Einbrecher gehalten werden. Die Gestalt beobachtete mich weiterhin, reglos wie eine Spinne. Für einen Augenblick senkte ich den Blick, und als ich wieder hinaufschaute, war sie verschwunden.
    »Guten Tag!«, rief ich.
    Ich wartete ein paar Sekunden, und da die Antwort ausblieb, näherte ich mich langsam dem Haus. Ein ovales Schwimmbecken zog sich vor einer verglasten Veranda die Ostfassade entlang. Zerfranste Segeltuchstühle umstanden das Becken. Ein efeuüberwachsenes Sprungbrett ragte über den dunklen Wasserspiegel. Ich trat an den Rand und stellte fest, dass das Becken voll mit Laub und Algen war, die sich an der Oberfläche kräuselten. Als ich ins Wasser starrte, spürte ich, dass sich mir von hinten etwas Dunkles näherte.
    Ich wandte mich jäh um

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