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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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und sah mich einem schmalen, finsteren Gesicht gegenüber, das mich unruhig und argwöhnisch musterte.
    »Wer sind Sie, und was tun Sie hier?«
    »Mein Name ist David Martín – ich komme von Anwalt Valera«, erfand ich.
    Die Frau presste die Lippen zusammen.
    »Sind Sie Señora Marlasca? Doña Alicia?«
    »Was ist mit dem, der sonst immer gekommen ist?«, fragte sie.
    Offensichtlich hielt sie mich für einen der Referendare des Büros Valera und dachte, ich brächte Papiere zur Unterschrift oder sonst eine Mitteilung der Anwälte. Einen Augenblick erwog ich die Möglichkeit, diese Identität anzunehmen, aber irgendetwas im Gesicht der Frau sagte mir, dass sie in ihrem Leben genug Lügen aufgetischt bekommen hatte und keine weitere mehr akzeptieren würde.
    »Ich arbeite nicht für das Büro, Señora Marlasca. Der Grund meines Besuches ist privater Natur. Ich dachte, vielleicht hätten Sie ein paar Minuten Zeit, um mit mir über eines der ehemaligen Besitztümer ihres verstorbenen Gatten, Don Diego, zu sprechen.«
    Die Witwe wurde blass und wandte den Blick ab. Sie stützte sich auf einen Stock, und ich sah an der Schwelle der Veranda einen Rollstuhl stehen, in dem sie vermutlich mehr Zeit verbrachte, als sie zugeben mochte.
    »Es gibt keinen einzigen Besitz meines Mannes mehr, Señor …«
    »Martín.«
    »Die Banken haben alles genommen, Señor Martín. Alles außer diesem Haus, das er dank des Ratschlags von Señor Valera, dem Vater, auf meinen Namen eingetragen hat. Alles andere haben sich diese Aasfresser geschnappt …«
    »Ich meinte das Haus mit dem Turm, in der Calle Flassaders.«
    Sie seufzte. Ich schätzte sie auf sechzig oder fünfundsechzig. Ihr war noch ein Abglanz ihrer einstigen blendenden Schönheit geblieben.
    »Vergessen Sie dieses Haus. Es ist ein verfluchter Ort.«
    »Das kann ich leider nicht. Ich wohne dort.«
    Señora Marlasca runzelte die Stirn.
    »Ich dachte, dort will niemand wohnen. Es hat viele Jahre leer gestanden.«
    »Ich habe es schon vor einiger Zeit gemietet. Der Grund meines Besuches ist, dass ich im Laufe einiger Umbauarbeiten eine Reihe persönlicher Dinge gefunden habe, die vermutlich Ihrem verstorbenen Mann und Ihnen gehört haben.«
    »Von mir gibt es nichts in diesem Haus. Was Sie gefunden haben mögen, muss dieser Frau gehören …« »Irene Sabino?« Alicia Marlasca lächelte bitter.
    »Was wollen Sie wirklich wissen, Señor Martín? Sagen Sie mir die Wahrheit. Sie sind nicht hierhergekommen, um mir die Habe meines verstorbenen Mannes zurückzubringen.«
    Wir schauten uns schweigend an, und ich wusste, dass ich diese Frau um keinen Preis belügen konnte.
    »Ich versuche herauszufinden, was mit Ihrem Mann geschehen ist, Señora Marlasca.«
    »Warum?«
    »Weil ich glaube, dass dasselbe mit mir geschieht.«
    Das Haus Marlasca hatte jene Atmosphäre einer Familiengruft, wie sie große, von Abwesenheit und Entbehrung gezeichnete Häuser aufwiesen. Fern waren die Tage des Reichtums und der Herrlichkeit, da ganze Heerscharen von Bediensteten es in seiner ursprünglichen Pracht erhielten; jetzt war es nur noch eine Ruine. Die Farbe an den Wänden blätterte ab, die Fliesen lösten sich, die Möbel wurden von Feuchtigkeit zerfressen, die Decken hingen durch, und die großen Teppiche waren abgetreten und ausgeblichen. Ich half der Witwe in den Rollstuhl und schob sie gemäß ihren Anweisungen in das Bibliothekszimmer, in dem es kaum noch Bücher oder Bilder gab.
    »Ich musste das meiste verkaufen, um zu überleben«, erklärte sie. »Hätte ich nicht Anwalt Valera, der mir monatlich zulasten des Büros eine kleine Pension schickt, ich hätte nicht gewusst, wohin ich gehen sollte.«
    »Leben Sie alleine?«
    Sie nickte.
    »Das ist mein Haus. Der einzige Ort, an dem ich glücklich gewesen bin, obwohl das schon viele Jahre her ist. Ich habe immer hier gelebt, und hier werde ich auch sterben. Verzeihen Sie, dass ich Ihnen nichts angeboten habe. Ich bekomme schon lange keinen Besuch mehr und weiß gar nicht mehr, wie man mit Gästen umgeht. Möchten Sie Kaffee oder Tee?«
    »Gar nichts, danke.«
    Señora Marlasca lächelte und deutete auf meinen Sessel.
    »Das war der Lieblingssessel meines Mannes. Da hat er sich immer hingesetzt, vors Feuer, und bis in die Nacht gelesen. Manchmal habe ich mich hierher gesetzt, neben ihn, und ihm zugehört. Er hat gern erzählt, damals wenigstens. Wir sind sehr glücklich gewesen in diesem Haus …«
    »Was ist geschehen?«
    Sie zuckte die Achseln und

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