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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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starrte in die Asche im Kamin.
    »Sind Sie sicher, dass Sie diese Geschichte hören wollen?« »Bitte.«
     

24
    »Offen gestanden weiß ich nicht genau, wann mein Mann sie kennenlernte. Ich weiß nur noch, dass er sie irgendwann plötzlich erwähnte, zuerst ganz beiläufig, und dann fiel ihr Name bald täglich: Irene Sabino. Er sagte, sie sei ihm von einem Mann namens Damián Roures vorgestellt worden, der in einem Lokal in der Calle Elisabets spiritistische Sitzungen veranstaltete. Diego war ein versierter Kenner der verschiedensten Religionen und hatte als Beobachter an mehreren dieser Sitzungen teilgenommen. Damals war Irene Sabino eine der populärsten Schauspielerinnen am Paralelo. Sie war eine Schönheit, das will ich nicht bestreiten. Aber sie konnte, glaube ich, nicht einmal bis zehn zählen. Es hieß, sie sei zwischen den Hütten am Strand des Bogatell zur Welt gekommen, von ihrer Mutter im Somorrostro-Viertel ausgesetzt worden und unter Bettlern und zwielichtigen Gestalten aufgewachsen. Mit vierzehn begann sie in den Nachtklubs und Lokalen im Raval und am Paralelo zu tanzen. Tanzen ist ein Euphemismus – vermutlich begann sie mit der Prostitution, bevor sie lesen lernte, falls sie es überhaupt je lernte. Eine Zeit lang war sie der große Star des Varietés La Criolla, so sagte man wenigstens. Dann schaffte sie es in andere, bessere Lokale. Ich glaube, es war im Apolo, wo sie einen gewissen Juan Corbera kennenlernte, den alle Jaco nannten. Jaco war ihr Impresario und wahrscheinlich auch ihr Geliebter. Er war es, der sich den Namen Irene Sabino und die Legende ausdachte, sie sei die heimliche Tochter einer großen Pariser Vedette und eines Prinzen aus europäischem Geblüt. Wie ihr wirklicher Name lautete, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob sie überhaupt je einen hatte. Jaco führte sie in die spiritistischen Sitzungen ein, ich glaube, auf Roures’ Empfehlung, und die beiden teilten den Gewinn aus dem Verkauf ihrer angeblichen Jungfräulichkeit an wohlhabende, gelangweilte Männer, die an diesen Farcen teilnahmen, um der Monotonie zu entfliehen. Ihre Spezialität sollen Paare gewesen sein.
    Was Jaco und sein Partner Roures nicht ahnten, war, dass Irene von diesen Sitzungen besessen war und allen Ernstes glaubte, bei diesen Pantomimen könne man mit der Welt der Geister Kontakt aufnehmen. Sie war überzeugt, ihre Mutter schicke ihr Botschaften aus dem Jenseits, und selbst als sie allmählich berühmt wurde, versuchte sie dort weiterhin mit ihr in Verbindung zu treten. Dort lernte sie auch meinen Mann Diego kennen. Vermutlich steckten wir da schon mitten in einer der schwierigen Zeiten, wie sie in jeder Ehe vorkommen. Diego wollte schon lange den Anwaltsberuf aufgeben und sich nur noch dem Schreiben widmen. Ich gebe zu, dass er in mir nicht die nötige Unterstützung fand. Ich dachte, wenn er es täte, würde er sein Leben wegwerfen, obwohl ich wahrscheinlich nur befürchtete, all das hier zu verlieren, das Haus, die Diener … Und dann habe ich tatsächlich alles verloren, und ihn dazu. Was uns am Ende auseinanderbrachte, war der Verlust von Ismael. Ismael war unser Sohn. Diego war ganz verrückt nach ihm. Nie habe ich einen so hingebungsvollen Vater gesehen. Ismael war sein Leben, nicht ich. Einmal hatten wir einen Streit im Schlafzimmer im ersten Stock. Es hatte damit begonnen, dass ich ihm vorwarf, zu viel Zeit mit dem Schreiben zu verbringen, sodass ihm Valera, sein Teilhaber, der es satthatte, die Arbeit für zwei zu erledigen, ein Ultimatum stellte und daran dachte, die Kanzlei aufzulösen und sich selbstständig zu machen. Diego sagte, das sei ihm egal, er sei bereit, seinen Anteil an der Kanzlei zu verkaufen und sich seiner Berufung zu widmen. An diesem Abend vermissten wir plötzlich Ismael. Er war weder in seinem Zimmer noch im Garten. Ich dachte, er sei, erschrocken über unseren Streit, womöglich aus dem Haus gelaufen. Das wäre nicht das erste Mal gewesen. Monate zuvor hatte man ihn weinend auf einer Bank auf der Plaza de Sarrià gefunden. Als es dunkel wurde, gingen wir ihn suchen. Nirgends eine Spur von ihm. Wir gingen zu Nachbarn, in Krankenhäuser … Als wir nach einer Nacht des Suchens in der Morgendämmerung zurückkehrten, fanden wir seine Leiche auf dem Grund des Schwimmbeckens. Er war am Vorabend ertrunken, und wir hatten seine Hilferufe nicht gehört, weil wir einander angeschrien hatten. Er war sieben. Diego verzieh mir das nie und sich selbst auch nicht. Bald ertrugen wir

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