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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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beobachtete. Ich stand auf und ging zu ihm wie ein gut dressierter Hund. Ich fragte mich, ob er wohl wusste, dass mein Vater hier beerdigt war, und ob er mich gerade aus diesem Grund hierher bestellt hatte. Anscheinend war in meinem Gesicht wie in einem offenen Buch zu lesen, denn er schüttelte den Kopf und legte mir eine Hand auf die Schulter.
    »Ich habe es nicht gewusst, Martín. Es tut mir leid.«
    Ich war nicht bereit, ihm die Tür zur Freundschaft zu öffnen, und wandte mich ab, um seine Geste der Zuneigung und des Mitleids abzuschütteln und mit zusammengekniffenen Augen die Tränen der Trauer zurückzuhalten. Dann machte ich mich langsam auf den Weg zum Ausgang, ohne auf ihn zu warten. Nach einigen Sekunden folgte er mir. Er ging schweigend neben mir her, bis wir zum Ausgang kamen. Dort blieb ich stehen und schaute ihn ungeduldig an.
    »Und? Haben Sie irgendeine Bemerkung zu machen?«
    Er überhörte meinen leicht feindseligen Ton und lächelte geduldig.
    »Die Arbeit ist hervorragend.« »Aber …«
    »Wenn ich etwas anzumerken hätte, dann, dass Sie meiner Ansicht nach goldrichtig damit liegen, die ganze Geschichte aus der Perspektive eines Zeugen der Ereignisse aufzubauen, der sich als Opfer fühlt und im Namen eines Volkes spricht, das diesen kriegerischen Erlöser herbeisehnt. Machen Sie so weiter.«
    »Finden Sie es nicht forciert, künstlich …?«
    »Im Gegenteil. Nichts bringt uns so sehr zum Glauben wie die Angst, die Gewissheit, bedroht zu sein. Wenn wir uns als Opfer fühlen, sind alle unsere Handlungen und Glaubenslehren gerechtfertigt, so anfechtbar sie auch sein mögen. Unsere Gegner – oder auch nur unsere Nachbarn – stehen nicht mehr auf der gleichen Stufe wie wir und werden zu Feinden. Wir sind nicht mehr Angreifer, sondern werden Verteidiger. Der Neid, die Habsucht oder das Ressentiment, die uns antreiben, sind gerechtfertigt, weil wir uns sagen, dass wir ja zum Zweck der Selbstverteidigung handeln. Das Böse, die Bedrohung liegt immer beim anderen. Der erste Schritt zum leidenschaftlichen Glauben ist die Angst. Die Angst, unsere Identität, unser Leben, unseren Rang oder unseren Glauben zu verlieren. Die Angst ist das Pulver und der Hass der Docht. Letzten Endes ist das Dogma nur ein brennendes Streichholz. Hier weist Ihre Arbeit meines Erachtens noch die eine oder andere Lücke auf.«
    »Erklären Sie mir eines: Geht es Ihnen um den Glauben oder um das Dogma?«
    »Es darf uns nicht genügen, dass die Menschen glauben. Sie sollen glauben, was sie glauben sollen. Und sie sollen das weder infrage stellen noch auf die Stimme von irgendjemandem hören, der es infrage stellt. Das Dogma muss zur Identität selbst gehören. Wer immer es infrage stellt, ist unser Feind. Ist das Böse. Und wir haben das Recht und die Pflicht, ihm gegenüberzutreten und ihn zu zerstören. Das ist der einzige Weg zur Erlösung. Glauben, um zu überleben.«
    Ich seufzte, schaute weg und nickte widerwillig.
    »Ich sehe, Sie sind nicht überzeugt, Martín. Sagen Sie mir, was Sie denken. Glauben Sie, ich irre mich?«
    »Ich weiß es nicht. Ich glaube, das alles ist eine gefährliche Vereinfachung. Ihre ganze Rede scheint auf einen Mechanismus hinauszulaufen, mit dem sich Hass erzeugen und lenken lässt.«
    »Das Adjektiv, das Sie gebrauchen wollten, war nicht gefährlich, sondern widerwärtig, aber ich will es überhört haben.«
    »Warum sollen wir den Glauben auf einen Akt der Abwehr und des blinden Gehorsams reduzieren? Kann man nicht an Werte der Annahme, der Eintracht glauben?«
    Der Patron lächelte amüsiert.
    »Man kann an alles glauben, Martín, an den freien Markt oder an die Zahnfee. Man kann sogar glauben, dass wir an nichts glauben, so wie Sie, dazu muss man nur besonders leichtgläubig sein. Habe ich recht?«
    »Der Kunde hat immer recht. Welches ist die Lücke, die Sie in der Geschichte sehen?«
    »Ich vermisse einen Schurken. Die meisten von uns definieren sich bewusst oder unbewusst eher darüber, dass sie etwas oder jemanden ablehnen, als dass sie sich mit etwas oder jemandem identifizieren. Mit anderen Worten: Reagieren ist einfacher als agieren. Nichts belebt den Glauben, den Eifer und das Dogma so sehr wie ein guter Widersacher. Je unwahrscheinlicher, desto besser.«
    »Ich hatte gedacht, das funktioniere besser auf abstrakte Weise. Der Widersacher wäre der Ungläubige, der Fremde, der außerhalb der Gemeinschaft steht.«
    »Schon, aber ich möchte, dass Sie konkreter werden. Es ist schwierig,

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