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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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gesagt?«
    »Gesagt hat er gar nichts. Er hat die ganze Zeit Maulaffen feilgehalten und so getan, als sähe er mich nicht, aber er hat mich keinen Moment aus den Augen gelassen. Ich kann mich schon gar nicht mehr hinsetzen, so sehr hat er mir auf den Hintern gestarrt, immer wenn ich auf die Leiter gestiegen bin, um ein Buch runterzuholen. Zufrieden?«
    Ich nickte lächelnd.
    »Danke, Isabella.«
    Sie schaute mir fest in die Augen.
    »Sagen Sie das noch einmal.«
    »Danke, Isabella. Von ganzem Herzen.«
    Sie errötete und schaute weg. Eine Weile blieben wir in friedlicher Stille sitzen und genossen diese Art Freundschaft, die manchmal keiner Worte bedarf. Ich trank die ganze Brühe aus, obwohl ich kaum noch etwas hinunterbrachte, und zeigte ihr die leere Tasse. Sie nickte.
    »Sie haben sie besucht, nicht wahr? Diese Frau, Cristina«, sagte sie und wich meinem Blick aus.
    »Isabella, die Gesichterleserin …«
    »Sagen Sie die Wahrheit.«
    »Ich habe sie nur von weitem gesehen.«
    Sie blickte mich vorsichtig an, als kämpfte sie mit sich, ob sie mir etwas, was ihr auf der Seele lag, sagen sollte oder nicht.
    »Lieben Sie sie?«, fragte sie schließlich.
    Wir schauten uns schweigend an.
    »Ich kann niemanden lieben, das weißt du doch. Ich bin ein Egoist. Reden wir von was anderem.«
    Sie nickte, den Blick auf dem Umschlag, der aus meiner Jacketttasche herauslugte.
    »Nachrichten vom Patron?«
    »Die Einberufung des Monats. Seine Exzellenz Señor Andreas Corelli freut sich, mich morgen früh um sieben vor die Tore des Friedhofs von Pueblo Nuevo zu bestellen. Einen besseren Ort hätte er nicht aussuchen können.«
    »Und werden Sie hingehen?«
    »Was bleibt mir denn anderes übrig?«
    »Sie können noch diesen Abend einen Zug nehmen und für immer verschwinden.«
    »Du bist schon die Zweite, die mir das heute nahelegt. Von hier zu verschwinden.«
    »Das muss ja einen Grund haben.«
    »Und wer wird dann dein Lehrmeister und Mentor sein und dich durch die Fährnisse der Literatur geleiten?«
    »Ich geh mit Ihnen.«
    Ich lächelte und ergriff ihre Hand.
    »Mit dir bis ans Ende der Welt, Isabella.«
    Sie entriss mir ihre Hand und schaute mich verletzt an.
    »Sie lachen mich aus.«
    »Isabella, sollte es mir eines Tages einfallen, dich auszulachen, dann jage ich mir eine Kugel durch den Kopf.«
    »Sagen Sie das nicht. Ich mag es nicht, wenn Sie so sprechen.«
    »Entschuldige.«
    Sie ging an ihren Schreibtisch zurück und verfiel in langes Schweigen. Ich sah, wie sie die Seiten des Tages überflog und mit einer meiner Schreibfedern Korrekturen anbrachte und ganze Absätze strich.
    »Wenn Sie mir zuschauen, kann ich mich nicht konzentrieren.«
    Ich stand auf und ging um den Schreibtisch herum.
    »Dann lasse ich dich weiterarbeiten, und nach dem Abendessen zeigst du mir, was du hast.«
    »Es ist noch nicht fertig. Ich muss alles korrigieren und neu schreiben und …«
    »Es ist nie fertig, Isabella. Daran musst du dich langsam gewöhnen. Nach dem Essen schauen wir es uns zusammen an.«
    »Morgen.«
    Ich ergab mich.
    »Morgen.«
    Sie nickte. Ich wollte schon die Verandatür schließen, um sie mit ihren Worten allein zu lassen, als sie mich rief.
    »David?«
    Schweigend blieb ich im Gang stehen.
    »Es stimmt nicht. Es stimmt nicht, dass Sie niemanden lieben können.«
    Ich zog mich in mein Zimmer zurück und machte die Tür zu. Auf dem Bett drehte ich mich zusammengekrümmt zur Wand und schloss die Augen.
     

 26
    Ich verließ das Haus nach Tagesanbruch. Dunkle Wolken schleppten sich über die Dächer und nahmen den Straßen ihre Farbe. Während ich durch den Ciudadela-Park ging, sah ich die ersten Tropfen auf die Blätter der Bäume prasseln und wie kleine Geschosse auf dem Weg zerplatzen, wobei sie Staubkügelchen aufspringen ließen. Jenseits des Parks zeichnete sich gegen den Horizont ein Wald aus Fabriken und Gastürmen ab, und der im Regen aufgelöste Kohlenstaub ihrer Schlote fiel in teerigen Tropfen vom Himmel. Ich ging durch die unwirtliche Zypressenpromenade, die zum Eingang des Ostfriedhofs führte, denselben Weg, den ich so oft mit meinem Vater zurückgelegt hatte. Der Patron war schon da. Ich sah ihn von weitem, wie er unerschütterlich im Regen wartete, neben einem der großen steinernen Engel, die das Haupttor zum Friedhof bewachten. Er trug Schwarz, und das Einzige, was ihn von den Hunderten Statuen hinter den Gittern des Geländes unterschied, waren seine Augen. Er blieb völlig reglos, bis ich wenige Meter von

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