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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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stark wie ein Bär, Martín.« »Stur wie ein Maulesel sind Sie. Tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie nach oben ins Bett.«
    »Im Bett zu sein lohnt sich nur, wenn man jung und in angenehmer Gesellschaft ist.«
    »Wenn Sie Gesellschaft wollen, suche ich sie Ihnen, aber ich glaube nicht, dass das die geeigneten Umstände für ihr Herz sind.«
    »Martín, in meinem Alter reduziert sich die Erotik darauf, einen Wackelpudding zu genießen und den Witwen auf den Hals zu schauen. Was mir hier Sorgen macht, das ist der Thronfolger. Irgendein Fortschritt zu vermelden auf diesem Gebiet?«
    »Wir befinden uns in der Phase des Düngens und der Aussaat. Es bleibt abzuwarten, ob das Wetter mitspielt und es etwas zu ernten gibt. In zwei, drei Tagen kann ich Ihnen mit einer Sicherheit von sechzig oder siebzig Prozent eine positive Einschätzung geben.«
    Sempere lächelte zufrieden.
    »Ein Meisterstück, mir Isabella als Verkäuferin zu schicken«, sagte er. »Aber finden Sie sie nicht ein bisschen jung für meinen Sohn?«
    »Wer in meinen Augen ein bisschen unreif ist, das ist er, um ehrlich zu sein. Entweder legt er die Schlafmütze ab, oder Isabella verschluckt ihn in fünf Minuten roh. Zum Glück ist sie ein gutmütiger Mensch, sonst …«
    »Wie kann ich Ihnen nur danken?«
    »Indem Sie in Ihre Wohnung hinaufgehen und sich ins Bett legen. Wenn Sie pikante Gesellschaft brauchen, nehmen Sie Fortunata und Jacinta mit.«
    »Sie haben recht. Mit Don Benito liegt man allemal richtig.«
    »Unfehlbar. Und jetzt kommen Sie, ab in die Koje.«
     
    Er stand auf. Jede Bewegung fiel ihm schwer, und er atmete mühsam und so röchelnd, dass einem die Haare zu Berge standen. Ich hakte ihn unter und spürte, dass seine Haut kalt war.
    »Erschrecken Sie nicht, Martín, das ist mein Stoffwechsel, der ist etwas langsam.«
    »Heute scheint er wie der von Krieg und Frieden zu sein.«
    »Ein Schläfchen, und ich bin wie neugeboren.«
    Ich beschloss, ihn in die Wohnung über der Buchhandlung, wo er mit seinem Sohn zusammenlebte, hinaufzubegleiten, um sicher zu sein, dass er sich auch wirklich hinlegte. Wir brauchten eine Viertelstunde, um zum ersten Treppenabsatz zu gelangen. Unterwegs begegneten wir einem Nachbarn, einem liebenswürdigen Gymnasiallehrer namens Don Anacleto, der im Jesuitenkolleg in der Calle Caspe Sprache und Literatur unterrichtete und eben nach Hause kam.
    »Wie zeigt sich das Leben heute, mein lieber Sempere?«
    »Steil, Don Anacleto.«
    Gemeinsam mit dem Lehrer brachte ich Sempere, der mehr oder weniger an meinem Hals hing, in den ersten Stock hinauf.
    »Wenn Sie gestatten, ziehe ich mich nach einem langen Tag des Ringens mit dieser Primatenmeute, die ich als Schüler habe, ins traute Heim zurück«, verkündete der Lehrer. »Ich kann Ihnen versichern, dieses Land wird binnen einer einzigen Generation zerfallen. Wie Ratten werden sie einander die Haut abziehen.«
     
     
    Semperes Blick gab mir zu verstehen, ich solle Don Anacleto nicht allzu wörtlich nehmen.
    »Ein guter Mann«, raunte er mir zu, »aber er ertrinkt in einem Glas Wasser.«
    Beim Betreten der Wohnung überfiel mich die Erinnerung, wie ich an jenem weit zurückliegenden Morgen blutend hierhergekommen war, die Großen Erwartungen in der Hand, und wie Sempere mich auf den Armen hinaufgetragen hatte und mir eine Tasse Schokolade machte, während wir auf den Arzt warteten, mir beruhigende Worte zuflüsterte und mir mit einem lauwarmen Tuch und einer mir bis dahin unbekannten Zartheit das Blut abgewaschen hatte. Damals war er ein kräftiger Mann gewesen, der mir in jeder Hinsicht wie ein Riese erschien und ohne den ich jene glücklosen Jahre vermutlich nicht überlebt hätte. Jetzt, als ich ihn beim Hinlegen stützte und dann zwei Decken über ihm ausbreitete, war von dieser Kraft wenig oder gar nichts mehr da. Ich setzte mich neben ihn und nahm seine Hand, ohne zu wissen, was ich sagen sollte.
    »Hören Sie, wenn wir beide gleich wie Schlosshunde losheulen, dann gehen Sie besser«, sagte er. »Passen Sie auf sich auf, ja?«
    »Keine Bange, ich werde mich mit Samthandschuhen anfassen.«
    Ich nickte und ging zur Tür. »Martín?«
    Auf der Schwelle drehte ich mich um. Sempere sah mich so besorgt an wie an jenem Morgen, an dem ich einige Zähne und einen guten Teil meiner Unschuld verloren hatte. Ich ging, bevor er mich fragen konnte, was mit mir los sei.
     

31
    Was Isabella von mir als Berufsschriftsteller als Erstes gelernt hatte, war die Kunst und Praxis des

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