Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
von einem Taubenschlag eine Wolke schwarzer Flügel auf. Ein schneidend kalter Wind trug den Geruch der Molen und den Ruß von den Schornsteinen im Viertel herbei.
Ich ging in die Wohnung hinunter, um Kaffee zu machen. In der Küche warf ich einen Blick in die Vorratskammer und war verblüfft. Seit Isabella bei mir war, glich dieser Schrank dem Lebensmittelgeschäft Quilez in der Rambla de Cataluña. Im Dickicht der exotischen, von Isabellas Vater importierten Leckerbissen entdeckte ich eine Blechdose englischer Kekse mit Schokoladenüberzug und probierte einen. Eine halbe Stunde später, als der Zucker und das Koffein allmählich in meinen Adern pulsierten und mein Gehirn seine Tätigkeit aufnahm, kam ich auf den genialen Gedanken, mein Leben an diesem Tag noch etwas komplizierter zu machen, falls das überhaupt möglich war. Sobald die Geschäfte öffneten, wollte ich dem Laden für Zauberartikel und Taschenspielerei in der Calle Princesa einen Besuch abstatten.
»Was machen Sie denn hier um diese Zeit?« Von der Schwelle her beobachtete mich Isabella, die Stimme meines Gewissens. »Kekse essen.«
Sie setzte sich an den Tisch und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. Nach ihrem Aussehen zu schließen, hatte sie kein Auge zugetan.
»Mein Vater sagt, das ist die Lieblingsmarke der Königinmutter.«
»Genährt von solchen Keksen, muss sie eine Schönheit sein.«
Isabella nahm einen Keks und knabberte mit abwesendem Blick daran herum.
»Hast du darüber nachgedacht, was du tun willst? Ich meine in Bezug auf Sempere …«
Sie warf mir einen giftigen Blick zu.
»Und Sie, was werden Sie heute machen? Bestimmt nichts Gutes.«
»Ein paar Besorgungen.«
»Aha.«
»Aha oder haha?«
Isabella stellte die Tasse auf den Tisch und fasste mich ins Auge, als führe sie ein Verhör durch.
»Warum reden Sie eigentlich nie über das, was Sie da für diesen Kerl machen, für den Patron?«
»Unter anderem, weil es besser für dich ist.«
»Besser für mich. Natürlich. Ich armes Dummchen. Übrigens – ich habe vergessen, Ihnen zu sagen, dass gestern Ihr Freund vorbeigekommen ist, der Inspektor.«
»Grandes? War er allein?«
»Nein. Es waren zwei schlagkräftige Schränke mit Bulldoggengesichtern dabei.«
Die Vorstellung von Marcos und Castelo vor meiner Tür verursachte mir Bauchschmerzen.
»Und was wollte Grandes?«
»Das hat er nicht gesagt.«
»Was hat er denn dann gesagt?«
»Er hat gefragt, wer ich bin.«
»Und was hast du geantwortet?«
»Ihre Geliebte.«
»Sehr hübsch.«
»Jedenfalls schien es einen der beiden Schränke sehr zu amüsieren.«
Isabella verknusperte in zwei Bissen einen weiteren Keks. Sie sah, dass ich sie verstohlen anschaute, und hielt im Kauen inne.
»Oje, was hab ich da bloß gesagt?«, fragte sie und ließ es Krümel regnen.
32
Das durch die Wolkendecke dringende dunstige Licht erleuchtete die rot gestrichene Fassade des Ladens für Zauberartikel in der Calle Princesa nur spärlich. Durch die Glastür waren in dem düsteren, mit schwarzem Samt ausgekleideten Raum vage Umrisse des Interieurs zu erkennen. War man einmal drin, sah man in den Vitrinen Masken und Geräte im viktorianischen Stil, gezinkte Kartenspiele und präparierte Dolche, Zauberbücher und Fläschchen aus geschliffenem Glas, die einen Regenbogen an lateinisch etikettierten, wahrscheinlich in Albacete abgefüllten Tinkturen enthielten. Im Hintergrund stand ein leerer Ladentisch. Die Glocke der Eingangstür hatte mein Erscheinen angekündigt. Ich wartete einige Sekunden und studierte dieses Kuriositätenkabinett. Als ich in einem Spiegel, in dem sich alles spiegelte außer mir, mein Gesicht suchte, sah ich aus dem Augenwinkel eine kleine Gestalt durch den Vorhang des Hinterzimmers treten.
»Ein interessanter Trick, nicht wahr?«, sagte das Männchen mit dem weißen Haar und dem durchdringenden Blick. Ich nickte.
»Wie funktioniert er?«
»Das weiß ich noch nicht. Er ist mir vor zwei Tagen von einem Fabrikanten von Trugspiegeln aus Istanbul geschickt worden. Der Erfinder nennt es ›Refraktionsumkehrung‹.«
»Er erinnert einen daran, dass nichts das ist, was es zu sein scheint«, bemerkte ich.
»Außer der Magie. Womit kann ich Ihnen dienen, mein Herr?«
»Spreche ich mit Señor Damián Roures?«
Das Männchen nickte langsam und ohne mit der Wimper zu zucken. Seine Lippen waren zu einem heiteren Lächeln geformt, das, genau wie sein Spiegel, nicht das war, was es zu sein vorgab. Sein Blick war kalt und
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