Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
Verbindung gebe.«
Sie warf mir einen Blick zu, der töten konnte.
»Schwören Sie mir, dass Sie sich das nicht aus den Fingern saugen«, sagte sie.
Ich legte die rechte Hand auf das Kochbuch und hob die linke.
»Ich schwöre es bei den 101 besten Rezepten der französischen Küche«, erklärte ich.
»Man schwört mit der anderen Hand.«
Mit vertauschten Händen und feierlichem Ausdruck wiederholte ich das Ganze. Isabella schnaubte.
»Was soll ich also tun?«, fragte sie.
»Ich weiß nicht. Was tun Verliebte? Spazieren oder tanzen gehen …«
»Ich bin aber nicht in diesen Herrn verliebt.«
Ich aß weiter an meiner kandierten Ente, ohne auf ihren insistierenden Blick einzugehen. Nach einer Weile schlug sie auf den Tisch.
»Schauen Sie mich bitte an. All das ist Ihre Schuld.«
Bedächtig legte ich das Besteck hin, wischte mir mit der Serviette die Lippen ab und schaute sie an.
»Was soll ich also tun?«, wiederholte sie.
»Nun, das kommt ganz drauf an. Gefällt er dir denn oder nicht?«
Eine Wolke des Zweifels trübte ihre Miene.
»Ich weiß nicht. Zunächst einmal ist er ein wenig alt für mich.«
»Er ist praktisch genauso alt wie ich. Höchstens ein oder zwei Jahre älter. Vielleicht drei.« »Oder vier oder fünf.« Ich seufzte.
»Er steht in der Blüte seines Lebens. Ich dachte, dir gefallen reifere Herren.«
»Machen Sie sich nicht lustig über mich.«
»Isabella, ich bin nicht der Richtige, um dir zu sagen, was du tun sollst …«
»Das ist ja ein starkes Stück.«
»Lass mich doch ausreden. Was ich sagen will, ist, dass das etwas zwischen dem jungen Sempere und dir ist.
Wenn du mich um Rat fragst, dann würde ich sagen, gib ihm eine Chance. Nichts weiter. Sollte er sich dieser Tage dazu durchringen, einen ersten Schritt zu tun, und dich, sagen wir, zu Kaffee und Kuchen einladen, dann nimm die Einladung an. Vielleicht beginnt ihr euch zu unterhalten und lernt euch kennen und seid am Ende die besten Freunde – oder auch nicht. Aber ich glaube, Sempere ist ein guter Mensch, sein Interesse an dir ist echt, und ich würde zu behaupten wagen, dass im Grunde auch du etwas für ihn empfindest, wenn du es recht bedenkst.«
»Sie strotzen vor fixen Ideen.«
»Aber Sempere nicht. Ich glaube, es wäre schäbig, die Zuneigung und Bewunderung, die er für dich hegt, nicht zu respektieren. Und du bist nicht schäbig.«
»Das ist Erpressung.«
»Nein, das ist das Leben.«
Isabella schmetterte mich mit dem Blick nieder. Ich lächelte sie an.
»Tun Sie mir wenigstens den Gefallen und essen Sie auf.«
Ich leerte meinen Teller, wischte ihn mit Brot aus und ließ einen zufriedenen Seufzer hören. »Was gibt’s zum Nachtisch?«
Nach dem Essen ließ ich eine nachdenkliche Isabella in der Veranda in ihren Zweifeln und Sorgen schmoren und ging in den Turm hinauf, wo ich die Fotografie von Diego Marlasca, die mir Salvador geliehen hatte, in den Lichtkegel der Lampe legte. Dann warf ich einen Blick auf die in den vergangenen Wochen für den Patron zusammengetragene kleine Bastion aus Blöcken, Notizen und Blättern. Ich spürte die Kälte von Diego Marlascas Besteck in den Händen und konnte mir mühelos vorstellen, wie er dasaß und dieselbe Aussicht über die Dächer des Ribera-Viertels genoss. Aufs Geratewohl begann ich eine meiner Seiten zu lesen. Zwar erkannte ich die Wörter und Sätze wieder, schließlich hatte ich sie ja geschrieben, aber der verworrene Geist, aus dem sie sich speisten, hatte weniger mit mir zu tun denn je. Ich ließ das Blatt zu Boden gleiten, und als ich aufschaute, sah ich in der Fensterscheibe mein Spiegelbild, einen Fremden vor dem blauen Dunkel, das über der Stadt lag. Es war mir klar, dass ich an diesem Abend keinen einzigen zusammenhängenden Absatz für den Patron zustande brächte. Ich knipste die Schreibtischlampe aus und blieb im Halbdunkel sitzen, hörte dem Wind zu, der an den Fenstern schabte, und malte mir aus, wie sich der brennende Diego Marlasca in das Becken stürzte, wie die letzten Luftblasen aus seinem Mund traten und das eisige Wasser seine Lungen füllte.
Ich erwachte im Morgengrauen mit schmerzendem Körper, in den Sessel des Arbeitszimmers eingezwängt. Beim Aufstehen knirschte das eine oder andere Gelenk meines Körpers. Ich schleppte mich zum Fenster und öffnete es sperrangelweit. Die Altstadtdächer leuchteten im Raureif, und purpurn zog sich der Himmel über Barcelona zusammen. Als die Glocken von Santa Maria del Mar schlugen, flog
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