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Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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in nur fünfzig Meter Entfernung nicht bemerkt hatten.
    Im Schimmer der Laterne an der Fassade konnte ich Grandes’ Profil genau ausmachen. Langsam zog ich mich in die Dunkelheit zurück und verschwand in der ersten Gasse und dann im Passagen- und Arkadengewirr des Ribera-Viertels.
    Zehn Minuten später war ich am Francia-Bahnhof. Die Schalter waren bereits geschlossen, aber zwischen den Bahnsteigen unter dem hohen Glas- und Stahlgewölbe standen noch mehrere Züge. Dem Fahrplan entnahm ich, dass es, wie befürchtet, bis zum Morgen keine Abfahrten mehr gab. Nach Hause zurückzukehren und Grandes & Co. in die Fänge zu geraten, durfte ich nicht riskieren – irgendetwas sagte mir, dass mein Besuch auf dem Präsidium diesmal auf Vollpension hinausliefe und dass mich nicht einmal Anwalt Valera so leicht wie das vorige Mal wieder herausbrächte.
    Ich beschloss, die Nacht in einem einfachen Hotel gegenüber der Börse an der Plaza Palacio zu verbringen, wo der Legende nach die lebendigen Leichen einiger Spekulanten dahinvegetierten, denen ihre Habsucht und Milchmädchenrechnungen zum Verhängnis geworden waren. Dieses Loch wählte ich, weil mich dort vermutlich nicht einmal die Parzen suchen würden. Ich mietete mich unter dem Namen Antonio Miranda ein und bezahlte im Voraus. Der Angestellte, eine Art Weichtier, das zum festen Inventar der als Empfangstisch, Handtuchhalter und Souvenirstand dienenden Loge zu gehören schien, händigte mir den Schlüssel sowie ein Stück nach Lauge stinkender, gebrauchter Seife der Marke El Cid Campeador aus und teilte mir mit, wenn ich Lust auf weibliche Gesellschaft habe, könne er mir ein Dienstmädchen mit dem Spitznamen »die Einäugige« aufs Zimmer schicken, sobald sie von einem Hausbesuch zurück sei.
    »Danach werden Sie sich wie neugeboren fühlen«, versicherte er mir.
    Ich schützte einen beginnenden Hexenschuss vor und lehnte dankend ab, wünschte ihm eine gute Nacht und stieg die Treppe hinauf. Das Zimmer hatte die Größe und Anmutung eines Sargs. Ein rascher Blick überzeugte mich davon, dass ich mich besser angezogen auf die Pritsche legte, anstatt zwischen die Betttücher zu schlüpfen und mit allem zu fraternisieren, was daran haften mochte. Ich hüllte mich in eine ausgefranste Decke aus dem Schrank, die zwar roch, aber wenigstens nach Naphthalin, löschte das Licht und versuchte mir vorzustellen, ich liege in einer solchen Suite, wie sie jemandem mit hunderttausend Francs auf der Bank gebührt. Ich tat kaum ein Auge zu.
     
    Gegen zehn Uhr verließ ich das Hotel und ging zum Bahnhof. Dort kaufte ich eine Fahrkarte erster Klasse in der Hoffnung, im Zug den Schlaf nachzuholen, der mir in meinem Loch verwehrt geblieben war, und steuerte, da mir bis zur Abfahrt noch zwanzig Minuten blieben, die Reihe öffentlicher Fernsprechzellen in der Halle an. Ich nannte der Telefonistin die Nummer von Ricardo Salvadors Nachbarn, die ich von ihm bekommen hatte.
    »Ich möchte mit Emilio sprechen, bitte.«
    »Am Apparat.«
    »Mein Name ist David Martín. Ich bin ein Freund von Señor Ricardo Salvador. Er hat mir gesagt, in einem Notfall könne ich ihn unter dieser Nummer erreichen.«
    »Ja … Können Sie einen Augenblick warten, bis wir ihn benachrichtigt haben?«
    Ich schaute auf die Bahnhofsuhr.
    »Ja, ich warte. Danke.«
    Über drei Minuten vergingen, bis ich Schritte vernahm und Ricardo Salvadors Stimme mich mit Ruhe erfüllte.
    »Martín? Geht es Ihnen gut?« »Ja.«
    »Gott sei Dank. Ich habe in der Zeitung die Geschichte mit Roures gelesen und mir große Sorgen um Sie gemacht. Wo sind Sie?«
    »Señor Salvador, ich habe jetzt nicht viel Zeit. Ich muss die Stadt verlassen.«
    »Geht es Ihnen wirklich gut?«
    »Ja. Hören Sie – Alicia Marlasca ist tot.«
    »Die Witwe? Tot?«
    Langes Schweigen. Ich hatte den Eindruck, Salvador schluchze, und verfluchte mich dafür, ihm diese Nachricht so wenig feinfühlig übermittelt zu haben.
    »Sind Sie noch da?«
    »Ja …«
    »Ich rufe Sie an, um Sie zu warnen und Ihnen zu sagen, dass Sie sehr vorsichtig sein müssen. Irene Sabino lebt und ist mir gefolgt. Jemand ist bei ihr, ich glaube, Jaco.«
    »Jaco Corbera?«
    »Ich bin nicht sicher, ob er es ist. Ich glaube, sie wissen, dass ich ihnen auf der Spur bin, und versuchen, alle zum Schweigen zu bringen, die sich mit mir unterhalten haben. Ich denke, Sie hatten recht …«
    »Aber warum sollte Jaco jetzt zurückkommen?«, fragte Salvador. »Das ergibt keinen Sinn.«
    »Ich weiß es nicht.

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