Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Barcelona 02 - Das Spiel des Engels

Titel: Barcelona 02 - Das Spiel des Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
Vom Netzwerk:
schwebten in der Luft. Ich wusste, dass jemand oder etwas hinter mir war, und konnte seinen Atem im Nacken fühlen, kalt und nach fauligem Fleisch und Feuer stinkend. Ich spürte, wie sich seine langen, schmalen Finger meiner Haut näherten, und in diesem Augenblick erschien in dem schwebenden Regen dieses Mädchen, das nur auf dem Porträt lebte, welches ich an die Brust gedrückt hielt. Sie nahm mich bei der Hand, zog mich mit und führte mich zum Haus mit dem Turm, fort von dieser eiskalten, mir nachkriechenden Gegenwart. Als ich wieder zu Bewusstsein kam, waren sieben Tage vergangen. Es war Freitag, der 13. Juli.
     
     

 23
    Pedro Vidal und Cristina Sagnier heirateten an ebendiesem Nachmittag. Die Zeremonie fand um fünf Uhr in der Kapelle des Klosters Pedralbes statt, und nur ein kleiner Teil des Vidal-Clans fand sich ein – die Creme der Familie, mitsamt dem Vater des Bräutigams, glänzte durch Unheil ankündigende Abwesenheit. Hätte es böse Zungen gegeben, so hätten sie gesagt, der sonderbare Einfall des Benjamins, die Tochter des Fahrers zu ehelichen, sei für den Großteil der Dynastie eine herbe Enttäuschung gewesen. Aber es gab keine bösen Zungen. Aufgrund eines diskreten Stillhalteabkommens hatten die Klatschreporter an diesem Nachmittag anderes zu tun, und kein einziges Blatt verbreitete die Nachricht von der Hochzeit. Niemand war da, um zu berichten, dass sich vor dem Kircheneingang eine Handvoll ehemalige Geliebte von Don Pedro eingefunden hatten, die leise vor sich hin weinten wie welke Witwen, denen die letzte Hoffnung abhandengekommen war. Niemand war da, um zu berichten, dass Cristina ein Bund weißer Rosen in der Hand hielt und ein elfenbeinfarbenes Kleid trug, das mit ihrer Haut verschmolz und den Eindruck erweckte, sie trete nackt vor den Altar, ohne weiteren Schmuck als den weißen Schleier vor dem Gesicht und einen Himmel, der sich über dem Zeiger der Turmuhr zu einem bernsteinfarbenen Wolkenwirbel ballte. Niemand war da, um daran zu erinnern, wie sie aus dem Auto stieg und einen Augenblick stehen blieb, um sich auf dem Platz vor dem Kirchenportal umzuschauen, wo sie den todkranken Mann mit den zitternden Händen erblickte. Ohne dass es jemand vernahm, murmelte er Worte vor sich hin, die er mit sich ins Grab nehmen sollte.
    »Seid verdammt. Seid verdammt alle beide.«
     
    Zwei Stunden später öffnete ich im Sessel meines Arbeitszimmers das Kästchen, das mir vor Jahren in die Hände gekommen war und das Einzige enthielt, was mir von meinem Vater geblieben war. Ich zog die in ein Tuch gewickelte Pistole heraus, entriegelte die Trommel, lud sie mit sechs Kugeln und schwenkte die Trommel wieder ein. Ich setzte die Pistole auf die Schläfe, spannte sie und schloss die Augen. Im selben Augenblick peitschte ein Windstoß plötzlich den Turm und ließ die großen Fenster des Arbeitszimmers laut an die Wand schlagen. Eine eisige Brise strich mir über die Haut und trug den verlorenen Hauch großer Erwartungen herein.
     

 24
    Das Taxi fuhr langsam an den Rand des Gracia-Viertels hinauf, zu dem einsamen, düsteren Gelände des Park Güell. Da und dort auf dem Hügel lugten große Häuser aus besseren Zeiten aus einem Waldstück, das sich im Wind wellte wie schwarzes Wasser. Oben am Hang machte ich das große Tor zum Park aus. Drei Jahre zuvor hatten nach dem Tode Gaudis die Erben des Grafen Güell diese verlassene Villenkolonie, die nie einen weiteren Bewohner gesehen hatte als ihren Architekten, der Stadt zu einem Schleuderpreis verkauft. Vergessen und vernachlässigt, erinnerte der Park mit seinen Säulen und Türmen an ein verfluchtes Eden. Ich hieß den Fahrer vor dem Gittertor anhalten und zahlte ihm die Fahrt.
    »Sind Sie sicher, dass Sie hier aussteigen möchten?«, fragte er ängstlich. »Wenn der Herr es wünschen, kann ich auch einige Minuten warten …«
    »Das wird nicht nötig sein.«
    Das Brummen des Taxis verlor sich hügelab, und ich blieb mit dem Rauschen des Windes in den Bäumen allein. Das dürre Laub wehte auf den Parkeingang zu und wirbelte mir um die Füße. Ich trat an das mit rostzerfressenen Ketten verschlossene Gittertor und spähte hindurch. Sanft strich das Mondlicht um den Drachen, der am Fuß der breiten Parktreppe saß. Ganz langsam glitt eine dunkle Form die Stufen herunter und beobachtete mich mit Augen, die wie Perlen im Wasser glänzten. Ein schwarzer Hund. Unten an der Treppe blieb er stehen, und erst jetzt bemerkte ich, dass er nicht allein war. Zwei

Weitere Kostenlose Bücher