Barcelona 02 - Das Spiel des Engels
hat«, sagte Corelli in einem Ton, der mich annehmen ließ, ich hätte besser ein Papier unterschrieben, und sei es mit Blut. »Noch irgendeine Frage?«
»Ja. Warum?«
»Ich verstehe Sie nicht, Martín.«
»Wozu wollen Sie dieses Material oder wie Sie es nennen? Was haben Sie damit vor?«
»Gewissensprobleme, Martín – immer noch?«
»Vielleicht halten Sie mich für einen Menschen ohne Grundsätze, aber wenn ich an etwas teilhaben soll, wie Sie es mir vorschlagen, will ich wissen, welchem Zweck es dient. Ich glaube, ich habe ein Recht darauf.«
Corelli lächelte und legte seine Hand auf meine. Bei der Berührung seiner eisigen, marmorglatten Haut erschauerte ich.
»Weil Sie leben wollen.«
»Das klingt irgendwie bedrohlich.«
»Es ist nur eine einfache, freundliche Erinnerung an das, was Sie längst wissen: Sie werden mir helfen, weil Sie leben wollen und weil Sie weder der Preis noch die Folgen interessieren. Weil Sie vor nicht allzu langer Zeit an der Schwelle des Todes gestanden haben, und jetzt haben Sie eine Ewigkeit vor sich und die Chance auf ein Leben. Sie werden mir helfen, weil Sie ein Mensch sind. Und weil Sie, obwohl Sie es nicht wahrhaben wollen, glauben.«
Ich entzog ihm meine Hand, und er stand auf und ging zum Ende des Gartens.
»Seien Sie unbesorgt, Martín. Alles wird gut gehen. Sie können mir vertrauen«, sagte er in sanftem, einlullendem Ton, fast wie ein Vater.
»Kann ich jetzt gehen?«
»Aber selbstverständlich. Ich will Sie nicht länger als nötig aufhalten. Ich habe unser Gespräch sehr genossen. Jetzt entlasse ich Sie – auf dass Sie sich alles durch den Kopf gehen lassen, worüber wir gesprochen haben. Sie werden sehen, wenn die Verdauungsstörung vorbei ist, werden die wahren Antworten zu Ihnen kommen. Es gibt nichts auf unserem Lebensweg, was wir nicht schon wüssten, lange bevor wir ihn beschreiten. Man lernt nichts Wichtiges im Leben, man erinnert sich bloß.«
Er gab dem schweigsamen Butler, der am Rande des Gartens wartete, ein Zeichen.
»Ein Auto wird Sie nach Hause bringen. Wir sehen uns in zwei Wochen.«
»Hier?«
»Das weiß Gott allein.« Er leckte sich die Lippen, als erscheine ihm das als köstlicher Witz.
Der Butler trat zu uns und bedeutete mir, ihm zu folgen. Corelli nickte und nahm wieder Platz, den Blick über der fernen Stadt verloren.
9
Der Wagen wartete vor der Villa. Es war nicht irgendein Automobil, es war ein Sammlerstück, das mich an eine verzauberte Karosse denken ließ, eine Kathedrale auf Rädern mit technisch vollkommenen Verchromungen und Kurven und einem silbernen Engel als Galionsfigur auf der Motorhaube. Kurzum, ein Rolls-Royce. Der Butler öffnete die Tür und verabschiedete mich mit einer Verneigung. Das Innere erinnerte eher an ein Hotelzimmer als an ein Motorfahrzeug. Sowie ich mich im Sitz zurückgelehnt hatte, startete der Wagen und fuhr den Hügel hinunter.
»Kennen Sie die Adresse?«, fragte ich.
Der Fahrer, eine dunkle Gestalt auf der anderen Seite einer Glasscheibe, nickte. In der betäubenden Stille dieser Metallkutsche, die kaum den Boden zu berühren schien, fuhren wir quer durch Barcelona. Durch die Fenster sah ich Straßen und Häuser wie Felswände unter Wasser vorübergleiten. Es war bereits nach Mitternacht, als der schwarze Wagen in die Calle Comercio einbog und dann auf dem Paseo del Born an der Einmündung der Calle Flassaders stehen blieb, die zu eng für ihn war. Der Fahrer stieg aus und öffnete mit einer Verneigung die Tür. Ich stieg aus, er schloss die Tür und stieg wortlos wieder ein. Ich sah die dunkle Silhouette davonrollen und in einem Schattenschleier zerfließen. Ich fragte mich, was ich da getan hatte, obwohl ich die Antwort gar nicht wissen wollte. Mit dem Gefühl, die ganze Welt sei ein Gefängnis ohne Entrinnen, ging ich nach Hause.
In der Wohnung stieg ich direkt ins Arbeitszimmer hinauf, wo ich nach allen Seiten hin die Fenster öffnete, um die schwülheiße Brise hereinzulassen. Auf einigen Dächern des Viertels konnte man Gestalten auf Matratzen und Laken sehen, die der erstickenden Hitze zu entkommen und Schlaf zu finden suchten. In der Ferne erhoben sich rauchend wie Scheiterhaufen die drei Schlote des Paralelo und breiteten eine Decke aus weißer Asche über Barcelona aus, wie Staub aus Glas; aus der Nähe erinnerte mich die Statue der Mercè, die von der Kirchenkuppel aufflog, an den Engel des Rolls-Royce und den an Corellis Revers. Ich spürte, dass die Stadt nach vielen
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