Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
sind. Die Bernarda würde ich jeden Tag heiraten.«
»Also?«
»Wissen Sie, was als Erstes von einem verlangt wird, wenn man heiraten will?«
»Der Name«, sagte ich spontan.
Er nickte bedächtig. Dieser Gedanke war mir bisher noch nicht gekommen. Schlagartig begriff ich das Problem, dem sich mein guter Freund gegenübersah.
»Wissen Sie noch, was ich Ihnen vor Jahren erzählt habe, Daniel?«
Ich konnte mich bestens erinnern. Während des Bürgerkriegs und dank den unheilvollen Machenschaften Inspektor Fumeros, der, bevor er bei den Faschisten anheuerte, als gedungener Killer der Kommunisten wirkte, war mein Freund im Gefängnis gelandet, wo er beinahe den Verstand und das Leben verloren hätte. Als es ihm gelang herauszukommen, wie durch ein Wunder noch am Leben, beschloss er, eine neue Identität anzunehmen und die Vergangenheit auszulöschen. Todkrank hatte er sich einen Namen ausgeliehen, den er auf einem alten Stierkampfplakat bei der Monumental-Arena gesehen hatte. So war Fermín Romero de Torres geboren worden, ein Mann, der seine Geschichte täglich neu erfand.
»Darum wollten Sie also die Papiere der Kirchgemeinde nicht ausfüllen«, sagte ich. »Weil Sie den Namen Fermín Romero de Torres nicht benutzen können.«
Er nickte.
»Ich bin sicher, dass wir einen Weg finden, neue Papiere für Sie zu beschaffen. Erinnern Sie sich noch an Leutnant Palacios, der den Polizeidienst aufgegeben hat? Jetzt erteilt er Sportunterricht an einer Schule der Bonanova, aber einmal ist er im Laden vorbeigekommen und hat allerlei erzählt, unter anderem, dass es einen regelrechten Schwarzmarkt gibt für Leute, die eine neue Identität brauchen, weil sie jahrelang im Ausland gelebt haben und nun nach Spanien zurückkommen. Und er kenne jemand mit einer Werkstatt in der Nähe der Atarazanas, der Kontakte zur Polizei habe und einem für hundert Peseten einen neuen Personalausweis beschaffe und diese Identität im Ministerium registrieren lasse.«
»Das weiß ich. Er hieß Heredia. Ein Künstler.«
»Hieß?«
»Vor zwei Monaten hat man ihn im Hafen gefunden, im Wasser treibend. Es hieß, er sei auf der Fahrt zum Wellenbrecher von einem der Ausflugsboote gefallen. Die Hände auf dem Rücken gefesselt. Faschohumor.«
»Haben Sie ihn gekannt?«
»Wir haben miteinander verkehrt.«
»Aber dann haben Sie ja Papiere, die Sie als Fermín Romero de Torres ausweisen …«
»Heredia hat sie mir anno 39 beschafft, gegen Kriegsende. Damals war es noch einfacher, alles war ein einziges Tohuwabohu, und als die Leute merkten, dass das Schiff unterging, haben sie einem für zwei Duros sogar das Namensschildchen verkauft.«
»Warum können Sie dann Ihren Namen nicht verwenden?«
»Weil Fermín Romero de Torres 1940 gestorben ist. Das waren schlechte Zeiten, Daniel, sehr viel schlechter als heute. Kein Jahr hat es der Arme ausgehalten.«
»Er ist gestorben? Wo? Wie?«
»Im Gefängnis des Kastells von Montjuïc. In Zelle 13.«
Ich erinnerte mich an die Widmung, die der Unbekannte für Fermín in den Grafen von Monte Christo geschrieben hatte.
Für Fermín Romero de Torres, der von den Toten auferstanden ist und den Schlüssel zur Zukunft hat.
13
»An jenem Abend habe ich Ihnen nur einen kleinen Teil der Geschichte erzählt, Daniel.«
»Ich dachte, Sie hätten Vertrauen zu mir.«
»Ihnen würde ich mit geschlossenen Augen mein Leben anvertrauen. Darum geht es nicht. Wenn ich Ihnen nur einen Teil der Geschichte erzählt habe, dann, um Sie zu schützen.«
»Um mich zu schützen? Wovor?«
Geschlagen senkte Fermín die Augen.
»Vor der Wahrheit, Daniel …, vor der Wahrheit.«
Zweiter Teil
Aus der Welt der Toten
1
Barcelona, 1939
Die neuen Gefangenen wurden nachts vom Präsidium in der Vía Layetana in schwarzen Personen- oder Lieferwagen gebracht, die lautlos und ohne dass jemand sie beachtete oder beachten wollte, die Stadt durchquerten. Die Fahrzeuge der politischen Polizei fuhren über die alte Straße auf den Montjuïc, und manch einer erzählte, sowie er auf dem Hügel die Umrisse des Kastells vor den schwarzen, vom Meer heraufkriechenden Wolken gesehen habe, sei ihm klargeworden, dass er nie wieder lebend von da wegkommen werde.
Die Festung war zuoberst auf dem Felsen verankert, zwischen dem Meer im Osten, dem Schattenteppich, den Barcelona im Norden auslegte, und im Süden der endlosen Stadt der Toten, dem alten Friedhof Montjuïc, dessen Gestank den Fels hochkletterte und durch die Spalten im
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