Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
Lektüre der Todesanzeigen in der Vanguardia allein.«
»Das würde ich nur zu gern tun. Das sind diese verflixten Diplomarbeiten. Bei dem ganzen Schwachsinn, den dieses eingebildete Pack heute zusammenstottert, werde ich über kurz oder lang legasthenisch.«
Da servierte ihm ein Kellner den Nachtisch: einen runden Flan, der in einem Tränenmeer aus gebranntem Zucker wabbelte und nach delikater Vanille roch.
»Diese Anwandlung dürfte Euer Hochwohlgeboren nach zwei Löffeln von diesem Wunderwerk sogleich vergehen«, sagte Fermín, »wo es mit seinem Karamellwackeln dermaßen Doña Margarita Xirgus Busen gleicht.«
Der gelahrte Dozent betrachtete seine Nachspeise im Lichte dieser Überlegung und stimmte verzückt bei. Wir überließen ihn dem Genuss der zuckersüßen Reize der Bühnendiva und fanden an einem Ecktisch im hinteren Speisesaal ein Unterkommen. Nach kurzer Zeit wurde uns ein üppiges Essen aufgetragen, das Fermín wie ein Scheunendrescher wegputzte.
»Und ich dachte, Sie hätten keinen Hunger«, warf ich hin.
»Es ist der Muskel, der Kalorien heischt«, erklärte er, während er mit dem letzten Stück Brot den Teller auf Hochglanz polierte, aber ich hatte das Gefühl, es sei pure Beklemmung, was ihn aufzehrte.
Pere, unser Kellner, trat an den Tisch und erkundigte sich nach unserem Ergehen. Als er sah, dass Fermín keinen Stein auf dem anderen gelassen hatte, reichte er ihm die Dessertkarte.
»Ein Nachtischchen, um das Werk zu vollenden, Meister?«
»Also zu zwei Flans nach Art des Hauses, wie ich vorher einen gesehen habe, würde ich nicht nein sagen, nach Möglichkeit mit je einer blutroten Sauerkirsche.«
Pere nickte und erzählte, als der Wirt gehört habe, wie Fermín die Konsistenz und die metaphorische Kraft dieses Rezepts glossierte, habe er beschlossen, den Flan in Margarita umzutaufen.
»Für mich nur einen kleinen Kaffee«, sagte ich.
»Der Chef sagt, Dessert und Kaffees gehen aufs Haus«, sagte Pere.
Wir prosteten mit den Weingläsern dem Wirt zu, der sich hinter der Theke mit Professor Alburquerque unterhielt.
»Ein guter Mensch«, murmelte Fermín. »Manchmal vergisst man geradezu, dass es auf dieser Welt nicht nur Gesindel gibt.«
Die Härte und Bitterkeit seines Tons überraschte mich.
»Warum sagen Sie das, Fermín?«
Mein Freund zuckte die Achseln. Gleich darauf kamen die beiden Flans, auf denen sich die Sauerkirschen verführerisch in prekärem Gleichgewicht hielten.
»Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie in ein paar Wochen heiraten, und dann ist Schluss mit den Margaritas«, scherzte ich.
»Ich Ärmster«, sagte er. »Ich bin bloß noch Mundwerk. Ich bin nicht mehr der von früher.«
»Keiner von uns ist der von früher.«
Wonniglich genoss er seine beiden Flans.
»Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wo, aber einmal habe ich gelesen, dass wir im Grunde nie die von früher gewesen sind, dass wir uns nur an das erinnern, was nie geschehen ist …«, sagte Fermín.
»Das stammt aus dem Anfang eines Romans von Julián Carax«, antwortete ich.
»Stimmt. Was mag wohl aus dem guten Carax geworden sein? Fragen Sie sich das nie?«
»Jeden Tag.«
Fermín lächelte, als er sich an unsere Abenteuer aus früheren Zeiten erinnerte. Dann deutete er mit dem Finger fragend auf meine Brust.
»Tut es noch weh?«
Ich knöpfte ein Stück weit das Hemd auf und zeigte ihm die Narbe, die Inspektor Fumeros Kugel hinterlassen hatte, nachdem sie mir an jenem weit zurückliegenden Tag in den Ruinen der Nebelburg in die Brust gedrungen war.
»Manchmal.«
»Narben verschwinden nie, nicht wahr?«
»Sie kommen und gehen, glaube ich. Fermín, schauen Sie mich an.«
Fermíns scheuer Blick blieb an meinem hängen.
»Wollen Sie mir jetzt erzählen, was los ist?«
Er zögerte einige Sekunden.
»Haben Sie gewusst, dass die Bernarda guter Hoffnung ist?«, fragte er.
»Nein«, log ich. »Ist es das, was Ihnen Sorgen macht?«
Er schüttelte den Kopf, löffelte den zweiten Flan zu Ende und schlürfte den Rest des gebrannten Zuckers auf.
»Sie hat es mir noch nicht sagen wollen, das arme Ding, weil sie sich Sorgen macht. Aber mich wird sie zum glücklichsten Mann der Welt machen.«
Ich schaute ihn aufmerksam an.
»Wenn ich Ihnen die Wahrheit sagen soll, jetzt und aus nächster Nähe, glücklich sehen Sie überhaupt nicht aus. Ist es wegen der Hochzeit? Macht Ihnen die kirchliche Trauung und all das Bauchweh?«
»Nein, Daniel. Ich freue mich wirklich darauf, obwohl Pfaffen mit im Spiel
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