Barcelona 03 - Der Gefangene des Himmels
schälte er sich aus den blutigen, verschmutzten Kleidern. Als er völlig nackt war, rammte ihm der Posten den Gewehrlauf unter die eine Schulter und zwang ihn aufzustehen. Der Direktor blickte auf und betrachtete angewidert die Verbrennungen auf seinem Rücken, dem Gesäß und einem großen Teil der Schenkel.
»Sieht aus, als wär der Held hier ein alter Bekannter von Fumero«, bemerkte der Posten.
»Halten Sie den Mund«, befahl ihm der Direktor wenig überzeugend.
Ungeduldig schaute er den Gefangenen an, dem die Tränen übers Gesicht liefen.
»Los, flenn nicht und sag mir, wie du heißt.«
Der Gefangene flüsterte abermals seinen Namen.
»Fermín Romero de Torres …«
Angewidert seufzte der Direktor.
»Hör gut zu, mir reißt allmählich der Geduldsfaden. Ich will dir helfen, und ich habe keine Lust, Fumero zu rufen und ihm zu sagen, dass du hier bist …«
Der Gefangene begann zu wimmern wie ein verwundeter Hund und zitterte so heftig, dass der Direktor, dem die Szene deutlich unangenehm war und der die Formalitäten so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte, einen Blick mit dem Posten wechselte und leise fluchend den Namen aufschrieb, den ihm der Gefangene genannt hatte.
»Scheißkrieg«, murmelte er wie zu sich selbst, als der Gefangene nackt durch die Tunnel voller Pfützen in seine Zelle abgeführt wurde.
2
Die Zelle war ein feuchtdunkles Rechteck mit einem kleinen, in den Fels gehauenen Loch, durch das kalte Luft pfiff. Die Mauern waren übersät von Einkerbungen und Inschriften ehemaliger Mieter. Einige hatten ihren Namen und die Daten ihres Hierseins oder sonst einen Hinweis auf ihre Existenz eingeritzt. Einer hatte sich damit unterhalten, Kreuzworträtsel in die Dunkelheit zu kratzen, doch der Himmel schien keine Notiz davon genommen zu haben. Rostige Eisenstäbe vergitterten die Zelle und hinterließen bei der Berührung einen braunen Schleier an den Händen.
Fermín hatte sich auf einer Pritsche zusammengekauert und versuchte mit einem zerlumpten Stück Stoff, in dem er Decke, Matratze und Kopfkissen in einem vermutete, seine Blöße zu bedecken. Das Halbdunkel hatte einen kupferfarbenen Schimmer wie der Hauch einer verglimmenden Kerze. Nach einer Weile gewöhnten sich die Augen an dieses Dauerdunkel, und die Ohren wurden so fein, dass sie in der Litanei von Tropfen und Echos der Außenluft die leiseste Bewegung von Körpern wahrnahmen.
Er hatte bereits eine halbe Stunde auf seiner Pritsche verbracht, als er am anderen Ende der Zelle undeutliche Umrisse erkannte. Er stand auf, ging langsam näher und stellte fest, dass es ein schmutziger Segeltuchsack war. Kälte und Feuchtigkeit waren ihm allmählich in die Knochen gedrungen, und obwohl der von diesem dunkel gesprenkelten Bündel ausgehende Gestank zu wenig beglückenden Vermutungen einlud, dachte Fermín, darin vielleicht die Gefangenenuniform zu finden, die ihm zu geben sich niemand die Mühe gemacht hatte, und mit etwas Glück sogar eine Decke. Er kniete vor dem Sack nieder und löste am einen Ende den Knoten.
Als er das Segeltuch wegzog, enthüllte der zittrige Widerschein der auf dem Gang flackernden Lampen etwas, was er im ersten Moment für das Gesicht einer Schneiderpuppe hielt, wie sie in Schaufenstern die Anzüge ihrer Schöpfer anpreisen, aber der Gestank und die sofort einsetzende Übelkeit machten ihm klar, dass es sich mitnichten um eine Puppe handelte. Sich mit einer Hand Nase und Mund zuhaltend, zog er das Segeltuch ganz weg und wich bis an die Zellenwand zurück.
Die Leiche schien ein Erwachsener in einem unbestimmten Alter zwischen vierzig und fünfundsiebzig Jahren zu sein und konnte nicht mehr als fünfzig Kilo wiegen. Lange Haare und ein weißer Bart bedeckten einen großen Teil des skeletthaften Oberkörpers. Die knochigen Hände mit langen, krummen Fingernägeln sahen aus wie Vogelklauen. Die Hornhaut in den weit offenen Augen wirkte zerknittert wie die Schale einer reifen Frucht. Der Mund war halb geöffnet und die aufgequollene, schwärzliche Zunge zwischen den fauligen Zähnen verklemmt.
»Ziehen Sie ihm die Kleider aus, bevor er abtransportiert wird«, hörte er eine Stimme aus der gegenüberliegenden Zelle. »Bis zum nächsten Monat werden Sie von niemandem welche bekommen.«
Fermín spähte ins Dunkel und sah zwei leuchtende Augen, die ihn von der Pritsche der anderen Zelle aus beobachteten.
»Nur keine Angst, der Arme kann niemandem mehr etwas antun«, sagte die Stimme.
Fermín nickte und
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