Barcelona. Eine Stadt in Biographien: MERIAN porträts (MERIAN Digitale Medien) (German Edition)
provokativ im Elternhaus herumliegen.
Er fährt immer häufiger ins nahe gelegene Barcelona, verbrüdert sich mit der anarchistischen Szene in der Altstadt, übernachtet bei Freunden oder bei seinem Onkel. Anfang der 20 erJahre verkehrt er in der Musikhalle
El Molino
auf der damals noch sündigeren Avinguda del Paral.lel und wird Stammgast im Künstlerlokal Picassos, im
Els
4 Gats
12 ( ▶ G 5 ) .
Dalí fühlt sich zu Barcelonas Avantgardisten hingezogen, verehrt den Franzosen
André Breton
als Theoretiker des Surrealismus und versucht in den intellektuellen Zirkeln des Gotischen Viertels durch Auftreten und revolutionäre Reden Bourgeoisie und Surrealisten gleichermaßen zu schockieren. Breton wird später erzählen, wie Salvador Dalí auf die Frage antwortete, wer nach ihm der größte bekannte Künstler sei. Dalí nennt spontan
Josep Pujol
, der zu Beginn des 20 . Jh. im Moulin Rouge als »Le Petomane« Berühmtheit erlangt. Dieser Pujol kann mit seinen Schließmuskeln die Marseillaise und aktuelle Schlager intonieren.
STREIFZÜGE DURCH DIE FANTASIEWELT
Noch mehr begeistert er sich bei seinen Streifzügen durch Barcelona für die skurrilen Arbeiten von Antoni Gaudí. Auf Dalí wirken »die Türme der Sagrada Família sehr sinnlich, wie die Haut einer Frau« . Nach dem Tod von Gaudí schlägt er vor, die unvollendete Kathedrale so zu belassen und ihr eine gewaltige Glaskuppel überzustülpen. Dalí lobt die Bauten Gaudís überschwänglich, weil »dieses Genie den Stein in Fleisch und Starre in Weichheit verwandelt und weil die bronzenen Wasserspeier aussehen wie prächtige Brüste« . Immerhin erkennt Dalí da noch einen anderen als Genie neben sich an.
Er malt sehr viel, nicht nur im Atelier an der Costa Brava, sondern auch in den Studios von Freunden in Barcelona. Er ist fleißig, diszipliniert, übt sich in impressionistischer, dann kubistischer Malerei. 1922 hat er in der
Galería Dalmau
15 ( ▶ E 3 / 4 ) seine erste Ausstellung, verkauft die ersten Surrealen nach USA .
Die Galería Dalmau in der Carrer Consell de Cent no 349 in der Nähe des Passeig de Gràcia hat damals schon einen internationalen Ruf als Förderer moderner Gegenwartskunst und gilt als Begründer der Kunstmeile dieser Straße mit heute einem Dutzend angesehener Galerien. Dalí wird hier jahrelang eigene Ausstellungen haben.
Bei seinem aufwändigen Lebensstil reicht Dalí das erste Galerie-Honorar nicht lange, sein Vater zwingt ihn, sein chaotisches Barcelona-Leben zu beenden und ab 1923 in der Madrider Akademie
San Fernando
Kunst, Bildhauerei und Malerei zu studieren. Wegen ungebührlichen Benehmens wird er mehrfach gefeuert, wegen genialer Arbeiten aber wieder zugelassen. Der Narziss Dalí hält seine Professoren für unfähig, ihn zu beurteilen, und weigert sich deswegen Ende 1926 , am Schlussexamen teilzunehmen.
Lieber fährt er nach Paris und besucht
Pablo Picasso
. In den drei Madrider Jahren allerdings lernt er im Studentenwohnheim zwei für seine Entwicklung entscheidende Freunde kennen: den Filmregisseur
Luis Buñuel
, mit dem er 1929 gemeinsam das Drehbuch zum surrealistischen Film »Ein andalusischer Hund« schreibt. Noch inspirierender für Dalí wird sein Zimmergenosse
Federico García Lorca
. Den andalusischen Schriftsteller lädt er regelmäßig zu Sommerferien ins elterliche Ferienhaus
Es Llané
nach Cadaqués ein. Sie malen, dichten und träumen gemeinsam. Lorca bedrängt Dalí des Öfteren sexuell, kommt aber nicht ans Ziel, weil sein Freund Salvador (»Erlöser«) meint, er sei »von Geburt an impotent«.
Dafür lebt er seine surrealistische Kraft in ersten Bildern aus: »Blut ist süßer als Honig«, »Sitzendes junges Mädchen von hinten«, »Der große Masturbator« oder »Die Anpassung der Begierden« mit den Löwenköpfen werden auch in den USA ausgestellt.
Er pendelt zwischen Barcelona und Paris, wo er sich
Bretons
Surrealisten-Gruppe anschließt und mit Künstlern wie
Max Ernst, Man Ray, Hans Arp
und dem Poeten
Paul Éluard
inspirierende Diskussionen führt. Als Max Ernst, Luis Buñuel und Paul Éluard im August 1929 ihre Ferien in
Cadaqués
verbringen, wird das ein schicksalhafter Sommer. Der 25 -jährige Dalí verliebt sich in die zehn Jahre ältere Éluard-Gattin und Salondame
Helena Diakanoff Devulina
, genannt Gala. Buñuel sagt später, dass bei Dalí von Impotenz keine Spur mehr sei und dass der sich von einem Tag auf den anderen »total verändert hat«. Dalís erzkatholischer Papa ist über die
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