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Barcelona. Eine Stadt in Biographien: MERIAN porträts (MERIAN Digitale Medien) (German Edition)

Barcelona. Eine Stadt in Biographien: MERIAN porträts (MERIAN Digitale Medien) (German Edition)

Titel: Barcelona. Eine Stadt in Biographien: MERIAN porträts (MERIAN Digitale Medien) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfhart Berg
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schummrig durch verdreckte Gläser. Einige Jugendliche hocken auf der Plaça vor einer Reihe Bierflaschen unterhalb der haushohen futuristischen Skulptur, auf der eine Schlange züngelt und sich schlängelnd um den Globus windet.
    Ein kleiner Fahrradshop, eine Windsurf-Werkstatt und viele dunkle Mietshäuser umstellen den Platz. Darunter ein graues Gebäude, in dem die marxistische Arbeiterpartei POUM in den 30 er-Jahren ihren Sitz hatte. Eine Gruppe Junkies dealt, im schmuddligen Café daneben sitzt kein einziger Gast.
    Wir befinden uns auf einem der hässlichsten Plätze der sonst so strahlend schönen Stadt. Auf der Plaça, die 2003 »zu Ehren eines Schriftstellers, der sich vorbildlich für Katalonien engagierte« und zu dessen 100 . Geburtstag auf
Plaça George Orwell
( ▶ H 6 ) umgetauft wurde.
    Die Geschichte ist nämlich die: George Orwell, 1903 als Eric Blair in Britisch-Indien geboren, kommt nach dem Besuch des Eton-Colleges, dem Militärdienst in Burma und einigen Jahren als Buchhändler und Journalist Ende 1936 als engagierter junger Sozialist mit seiner Frau nach Barcelona. Hier nimmt er in den nächsten zehn Monaten auf der Seite der trotzkistischen Arbeiterpartei POUM als Brigadist am Spanischen Bürgerkrieg teil. Über das »heiße Jahr der Anarchie« 1937 , in dem sich Trotzkisten, Stalinisten, Sozialisten und die anarchosozialistische Gewerkschaft CNT im eigentlich gemeinsamen Kampf Barcelonas gegen die konservativ-katholische Armee Francos gegenseitig aufreiben und schwächen, schreibt Orwell gleich nach seiner Flucht aus Barcelona 1938 im Stile eines Lokalreporters seine »Homage to Catalonia« (»Mein Katalonien«). Dieser Klassenkampf für eine klassenlose Gesellschaft beeinflusst Orwell dann 1945 zu seinem Welterfolg »Farm der Tiere«.
    In dieser Fabel erklärt er das Scheitern der russischen Revolution durch den Verrat des Stalinismus an den sozialistischen Idealen. Auch in seinem 1949 geschriebenen, weitaus bekannteren Roman » 1984 «, in dem er den totalen Überwachungsstaat (»Big Brother is watching you«) und die Entmündigung des Bürgers voraussieht, fließen seine demagogischen Propaganda-Erfahrungen aus dem Jahr 1937 mit ein.
    Als Orwell in der Zwei-Millionen-Stadt Barcelona eintrifft, hat er das Gefühl, plötzlich in einer Ära der Gleichheit und Freiheit aufgetaucht zu sein. »Menschliche Wesen versuchten, sich wie menschliche Wesen zu benehmen und nicht wie ein Rädchen in der kapitalistischen Maschine.«
    KÄMPFEN UND SCHREIBEN – DAS IST SEIN LEBEN
    In seinem »Mein Katalonien« beschreibt er das Stadtviertel, in dem er die nächsten Monate leben und kämpfen und das er sein Leben lang nicht mehr vergessen wird: Auf der Nordseite der Plaça de Catalunya ( ▶ F 4 ) steht das edle neoklassizistische
Hotel Colón
. Mit 27  Billardtischen und 60  Zimmern dient es damals den katalanischen Sozialisten der PSUC als Zentrale. Heute hat da die Banesto-Bank ihren Sitz. Schräg gegenüber liegt die strategisch wichtige Kommunikationszentrale »Telefónica«. Dann die
Rambla dels Estudis
mit dem Oberservatorium in Haus Nr.  115 und weiter unten an der
Rambla
no 138 stand damals das
Hotel Continental
( ▶ F 5 ) , in dem Orwell mit seiner Frau logiert; zeitweise lebt das Paar auch im
Hotel Oriente
18 ( ▶ G 6 ) an der
Rambla
. Orwell beschreibt die Szene so: »Die Arbeiter haben sich praktisch jedes größeren Gebäudes bemächtigt und es mit roten oder der rot und schwarzen Fahne der Anarchisten behängt. Auf jede Wand hat man Hammer und Sichel oder die Anfangsbuchstaben der Revolutionsparteien gekritzelt. Fast jede Kirche hat man ausgeräumt und ihre Bilder verbrannt … Man hatte sogar die Schuhputzer kollektiviert und ihre Kästen rot und schwarz angestrichen … Unterwürfige, ja auch förmliche Redewendungen waren vorübergehend verschwunden. Niemand sagte ›Señor‹ oder sogar ›Usted‹. Man sprach einander mit ›Kamerad‹ und ›Du‹ an … Trinkgelder waren verboten … Auf der Rambla röhrten tagsüber und bis spät in die Nacht revolutionäre Lieder.«
    Die Stadt mache durch den Einfluss des Krieges einen schlechten Eindruck, bei Nacht sind die Straßen aus Furcht vor faschistischen Luftangriffen nur schwach beleuchtet, so berichtet Brigadier und Kriegsreporter Orwell. Fleisch sei rar, Milch praktisch nicht zu erhalten, Brot, Zucker, aber auch Kohle und Benzin seien knapp. Vor den Delikatessenläden am oberen Ende der Rambla warten Banden barfüßiger Kinder,

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