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Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand

Titel: Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Stroud
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irgendwann in der Mitte dünner wird. Schließlich bildet sich an der dünnsten Stelle ein winziges Loch, das rasch größer wird und aufreißt. In unserem Fall hatte Lovelace’ Beschwörung die Dehnung hervorgerufen. Mit ein wenig Unterstützung von seinem Sklaven auf der anderen Seite.
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    Unmittelbar darauf hatten die ersten Veränderungen eingesetzt.
    Das Rednerpult auf dem Podium kam zuerst an die Reihe. Das Holz verwandelte sich erst in Lehm, dann in ein fremdartiges, orangefarbenes Metall und schließlich in ein Material, das verdächtig an Kerzenwachs erinnerte. Das Pult sackte sogar ein bisschen zusammen, als schmölze es.
    Auf dem Podium sprossen Grashalme.
    Die Kristallprismen des direkt darüber hängenden Kronleuchters wurden zu bunt glitzernden Wassertropfen, die kurz an Ort und Stelle hängen blieben und dann herabregneten.
    Ein Zauberer rannte zum Fenster. Die Nadelstreifen auf seinem Jackett ringelten sich wie Schlangen.
    Niemandem fielen diese und einige andere zunächst recht unerhebliche Veränderungen auf. Erst das Schicksal der Afritin rüttelte die Gäste wach.
    Mit einem Mal war die Hölle los: Menschen und Kobolde rannten und flogen schreiend und schnatternd in alle Richtungen. Scheinbar unbeteiligt beobachteten Lovelace und ich den Spalt über dem Podium und warteten, was sich darin zeigen mochte.

Bartimäus
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    Dann war es so weit. Die an den Spalt grenzenden Ebenen waren plötzlich nicht mehr im Einklang, als würden sie unterschiedlich schnell weggezogen. Ich sah alles verschwommen wie nach einem Schlag auf den Kopf – sah plötzlich hinter dem Spalt statt einem Fenster gleich sieben jeweils gegeneinander verschobene. Ziemlich beunruhigend.
    Wenn das von Lovelace beschworene Wesen stark genug war, die Ebenen dermaßen aufzumischen, bedeutete das für uns, die wir im selben Pentagramm mit ihm standen, nichts Gutes. Es musste schon ganz in der Nähe sein. Ich ließ den Spalt nicht aus den Augen…
    Amanda Cathcart rannte schreiend an uns vorbei. Ihr Bubikopf schillerte in reizvollem Blau. Inzwischen waren den Gästen weitere Veränderungen aufgefallen: Zwei Zauberer, die sich in dem vergeblichen Versuch, Lovelace zu Leibe zu rücken, zu nah ans Podium herangewagt hatten, mussten feststellen, dass sie in die Länge gezogen wurden. Zudem wuchs bei einem der beiden die Nase auf groteske Größe an, bei dem anderen verschwand das Riechorgan komplett.
    »Was geht da vor?«, flüsterte der Junge.
    Ich gab keine Antwort. Der Spalt brach auf.
    Alle sieben Ebenen zogen Schlieren wie umgerührter Sirup. Der Spalt wurde noch breiter und so etwas wie ein Arm zwängte sich hindurch. Er war fast durchsichtig, wie aus kristallklarem Glas, und tatsächlich hätte man ihn gar nicht gesehen, wären die Ebenen um ihn herum nicht in solchem Aufruhr gewesen. Der Arm wurde prüfend vorgestreckt und wieder zurückgezogen, als müsse er sich erst mit den Besonderheiten der körperlichen Welt vertraut machen. Er endete in vier dünnen Auswüchsen oder Fingern. Wie der übrige Arm besaßen sie keine eigene Substanz, ihren Umriss erhielten sie ausschließlich durch die Luftstrudel um sie herum.
    Lovelace trat ein paar Schritte zurück und schob nervös einen Finger zwischen seine Hemdknöpfe, um sich zu vergewissern, dass das Amulett noch da war.
    Als die Ebenen verrutschten, sahen auch die anderen Zauberer den Arm. 115
(Sie konnten natürlich nur die ersten drei Ebenen richtig sehen, aber das reichte, um einen ungefähren Umriss zu erkennen.)
Sie brachen in Wehklagen aus, vom größten, haarigsten Mann bis zur zierlichsten Frau, und ihre Schreie umfassten von dumpf bis schrill mehrere Oktaven. Die mutigsten Männer stürzten vor und befahlen ihren Dschinn, massenweise Detonationen und andere Abwehrzauber auf den Spalt abzufeuern, was sich jedoch als nutzlos herausstellte. Kein einziger Blitzstrahl, kein einziger Flammenstoß streifte den Arm auch nur. Entweder prallten die Geschosse heulend ab und schlugen in die Wände oder die Decke ein, oder sie tropften, ihrer Kraft beraubt, auf den Boden wie Wasser aus einem undichten Schlauch.
    Dem Jungen stand der Mund so weit offen, dass eine Maus auf seiner Kinnlade hätte schaukeln können. »Das D-Ding da«, stammelte er. »Was ist das?«
    Eine berechtigte Frage. Was war das für ein Ding, das die Ebenen durcheinander brachte und die mächtigsten Zauber abwehrte, obwohl erst ein einzelner Arm davon zu sehen war? Ich hätte etwas Dramatisches und Schauriges antworten

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