Bartimäus 01 - Das Amulett von Samarkand
Terrasse…«
»Ich warne dich! Wenn du lügst…«
»Nein, Sir, das war kurz bevor er geworfen hat, Sir. Er hatte eine blaue Kugel in der Hand. Er kam durch die Tür gerannt und hat sie geworfen, Sir. Es war ein Junge mit dunklem Haar, nicht viel älter als ich, Sir. Er war dünn und hatte einen dunklen Mantel an, glaube ich. Was er gemacht hat, nachdem er die Kugel geworfen hat, hab ich nicht mitgekriegt. Es war eine Elementenkugel, ganz bestimmt, Sir, eine kleine, das heißt, man muss kein Zauberer sein, um sie zu zerbrechen…«
Nathanael holte Luft und wurde sich plötzlich bewusst, dass er im Überschwang ein weit größeres magisches Wissen preisgegeben hatte, als es einem Gehilfen, der noch nicht einmal seinen ersten Mauler beschworen hatte, eigentlich zustand. Doch weder Underwood noch einem der anderen Zauberer schien das aufgefallen zu sein. Es dauerte eine Weile, bis sie das Gehörte verdaut hatten, dann wandten sie sich ab und fingen in zungenbrecherischem Tempo wieder zu plappern an, wobei sie einander in ihrem Eifer, ihre jeweils höchstpersönliche Theorie zu verkünden, ständig ins Wort fielen.
»Das kann nur die Widerstandsbewegung gewesen sein… aber sind das jetzt Zauberer oder nicht? Ich hab ja immer gesagt…«
»Underwood, Sie arbeiten doch in der Abteilung für Innere Angelegenheiten. Sind in letzter Zeit irgendwelche Elementenkugeln als gestohlen gemeldet worden? Wenn ja, was haben Sie diesbezüglich unternommen, verdammt noch mal?«
»Tut mir Leid. Streng vertraulich…«
»Murmeln Sie gefälligst nicht in die Reste Ihres Bartes! Wir haben ein Recht auf Information!«
»Meine Damen und Herren…« Die Stimme war leise, doch sie tat sofort ihre Wirkung. Das Geschnatter verebbte, alle drehten sich um. Simon Lovelace war zu den Diskutierenden getreten. Sein Haar war wieder ordentlich gekämmt. Trotz der zersprungenen Brille und der zerschrammten Stirn wirkte er so elegant wie eh und je. Nathanael klebte sofort wieder die Zunge am Gaumen.
Lovelace blickte mit seinen flinken, dunklen Augen von einem zum anderen. »Aber ich bitte Sie, bedrängen Sie den armen Arthur nicht so«, sagte er. Das mechanische Lächeln huschte über sein Gesicht. »Der arme Kerl ist für diesen Vorfall nicht verantwortlich. Der Attentäter ist offenbar vom Fluss her gekommen.«
Ein Mann mit schwarzem Bart zeigte auf Nathanael. »Das hat der Junge da auch gesagt.«
Die dunklen Augen richteten sich auf Nathanael und weiteten sich kaum merklich, als Lovelace ihn erkannte. »Ach, der junge Underwood. Du hast ihn also gesehen?«
Nathanael nickte stumm.
»Aha. Auf dem Quivive wie immer. Hat er denn schon einen Namen, Underwood?«
»Ähm, ja… John Mandrake. Ich habe ihn offiziell eintragen lassen.«
»Also, John…« Die dunklen Augen fixierten ihn. »Da kannst du dir ja gratulieren. Niemand, mit dem ich bis jetzt gesprochen habe, hat den Attentäter gesehen. Kann gut sein, dass die Polizei demnächst eine Aussage von dir braucht.«
Nathanael bekam endlich seine Zunge wieder frei. »Ja, Sir.«
Lovelace wandte sich wieder an die anderen. »Der Attentäter hat mit einem Boot unterhalb der Terrasse angelegt, ist über die Ufermauer geklettert und hat dem Wächter die Kehle durchgeschnitten. Wir haben keine Leiche gefunden, aber reichlich Blut, woraus man schließen kann, dass er die Leiche in die Themse geworfen hat. Nach dem Attentat ist er offenbar selber ins Wasser gesprungen und hat sich von der Strömung davontragen lassen. Vielleicht ist er ertrunken.«
Der Mann mit dem schwarzen Bart schüttelte missbilligend den Kopf. »Das ist ja unerhört! Was hat sich Duvall bloß dabei gedacht? Die Polizei muss so was doch verhindern!«
Lovelace hob beschwichtigend die Hand. »Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Immerhin haben zwei Beamte sofort die Verfolgung aufgenommen. Vielleicht finden sie ja eine Spur, auch wenn das im Wasser schwierig ist. Ich habe außerdem ein paar Dschinn ausgeschickt, um die Ufer abzusuchen. Mehr kann ich Ihnen im Moment leider nicht sagen. Wir können froh sein, dass der Premierminister in Sicherheit ist und niemand Wichtiges getötet wurde. Wenn ich vorschlagen dürfte, dass Sie jetzt vielleicht alle nach Hause gehen, um sich von dem Schreck zu erholen – und sich umzuziehen? Wir werden Ihnen auf jeden Fall demnächst weitere Informationen zukommen lassen. Wenn Sie mich entschuldigen wollen…«
Er verabschiedete sich lächelnd und trat zur nächsten Gruppe Gäste. Die Zurückbleibenden
Weitere Kostenlose Bücher