Bartimäus 02 - Das Auge des Golem
schließlich fort, »hatte sich eben erst aus dem Staub gemacht. Sein Geruch hing noch in der Luft. Als ich mich neben meine Frau aufs Linoleum kniete, flackerten die Gasflammen am Herd wieder auf, der Eintopf köchelte weiter. Ich hörte die Hunde bellen, hörte, wie entlang der Straße die Fenster von einem jähen Windstoß zuschlugen… dann war alles still.« Mit dem Zeigefinger scharrte er die Eclair-Krümel zusammen, nahm das Häufchen auf und warf es sich in den Mund. »Sie war eine gute Köchin, Miss Jones«, sagte er. »Das habe ich nicht vergessen, auch wenn es inzwischen dreißig lange Jahre her ist.«
Ein Stück weiter weg hatte der Kellner versehentlich einem Gast sein Getränk über die Hose geschüttet und der kleine Tumult schien Mr Pennyfeather aus seinen Erinnerungen zu wecken. Er blinzelte und schaute Kitty wieder an. »Ich will es kurz machen, Miss Jones. Belassen wir es dabei, dass ich den betreffenden Zauberer ausfindig machen konnte. Ein paar Wochen folgte ich ihm unauffällig, erfuhr alles über seine Gewohnheiten und ließ mich weder von meinem rasenden Schmerz noch von meiner brennenden Ungeduld hinreißen. Ich wartete eine günstige Gelegenheit ab. An einem einsamen Ort lauerte ich ihm auf und erschlug ihn. Seine Leiche trieb mit dem übrigen Unrat die Themse hinab. Doch bevor er sein Leben aushauchte, beschwor er drei Dämonen herbei, deren Angriffe auf mich jedoch erstaunlich wirkungslos blieben. Erst dadurch, und zu meiner eigenen Verwunderung, denn ich hatte mich damit abgefunden, im Zuge meiner Vergeltungsaktion zu sterben, entdeckte ich meine eigenen Abwehrkräfte. Ich behaupte nicht, dass ich dieses Phänomen verstehe, aber so ist es nun einmal. Ich besitze solche Kräfte und meine Freunde auch. Und Sie ebenfalls. Es muss jeder selbst wissen, ob er daraus Nutzen ziehen will oder nicht.«
Er verstummte. Er wirkte jetzt völlig erschöpft, sein Gesicht war faltig und alt.
Kitty zögerte kurz. »Also gut«, sagte sie dann um Jakobs willen, um Mr Pennyfeathers willen und um seiner verstorbenen Frau willen. »Ich gehe noch nicht sofort. Bitte erzählen Sie mir mehr darüber.«
20
Etliche Wochen lang traf sich Kitty regelmäßig mit Mr Pennyfeather und seinen Freunden, an den Seven Dials, in anderen Cafés der Innenstadt und in Mr Pennyfeathers Wohnung über dem Künstlerbedarfsladen in einer belebten Straße südlich der Themse. Von Mal zu Mal erfuhr sie mehr über die Gruppe und ihre Ziele, von Mal zu Mal fühlte sie sich ihnen enger verbunden.
Es schien, als hätte Mr Pennyfeather seine Truppe ganz willkürlich zusammengestellt, als sei er nur durch das, was er gehört und in der Zeitung gelesen hatte, auf andere Menschen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten aufmerksam geworden. Manchmal trieb er sich monatelang bei Gerichtsverhandlungen herum und hielt nach jemandem wie Kitty Ausschau, dann wieder setzte er sich einfach in die Kneipe und sperrte die Ohren nach Gerüchten über Leute auf, die magische Angriffe überlebt hatten. Der Laden lief ganz gut, er überließ ihn die meiste Zeit seinen Gehilfen und ging seiner heimlichen Wege.
Seine Anhänger hatten sich über einen langen Zeitraum eingefunden. Anne, eine lebhafte Frau von vierzig, kannte ihn seit fast fünfzehn Jahren. Die beiden hatten schon so manche Schlacht zusammen geschlagen. Gladys, die Blonde aus dem Café, war um die zwanzig und hatte vor zehn Jahren, noch als kleines Mädchen, bei einem Duell zweier Zauberer einen Querschläger überlebt. Sie und Nicholas, ein untersetzter, ernsthafter junger Mann, hatten schon als Kinder für Mr Pennyfeather gearbeitet. Der Rest der Gruppe war jünger, keiner älter als achtzehn. Mit ihren dreizehn Jahren waren Kitty und Stanley die Jüngsten. Der Alte mit seiner zugleich mitreißenden und selbstherrlichen Art war der unbestrittene Anführer. Er hatte einen eisernen Willen und einen ungebrochen scharfen Verstand, nur sein Körper versagte ihm allmählich den Dienst, was ihn hin und wieder zu scheinbar grundlosen Wutanfällen hinriss. Doch dergleichen war zu Anfang nur selten vorgekommen, und Kitty lauschte ihm stets gespannt, wenn er voller Leidenschaft von der gewaltigen Aufgabe sprach, der sie sich verschrieben hatten.
Normalerweise, argumentierte Mr Pennyfeather, war es unmöglich, sich den Zauberern und ihrer Herrschaft zu widersetzen. Sie machten einfach, was sie wollten, womit jedes Mitglied der Truppe seine schmerzlichen Erfahrungen gemacht hatte. Alle wichtigen
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