Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
Im selben Augenblick schlug ein Geschoss mit solcher Wucht in die Wand ein, dass sie umgerissen wurde. Das Kästchen glitt ihr aus den Händen, die drei Kugeln fielen heraus und hüpften über den Boden.
Asmira sah ihnen entsetzt nach. Das Glas hatte winzige Sprünge bekommen.
Sie machte einen Satz nach hinten, als die Kugeln auf der Türschwelle zerschellten.
Flammen züngelten in die Wunderkammer. Asmira sprang auf, aber der Hitzeschwall warf sie rückwärts um. Sie krachte in die Schränke weiter hinten und landete unsanft zwischen bereits umgestürzten Truhen. Eine Lawine magischer Artikel prasselte auf ihren Kopf.
Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie Salomo vor sich stehen.
Der König streckte die Hand aus. Asmira ließ sich von ihm hochhelfen. Sie blutete an Armen und Beinen, ihr Gewand war versengt. Salomo ging es nicht viel besser. Seine Robe war zerrissen, sein Haar mit grauem Mörtelstaub gepudert.
Einen Augenblick stand Asmira stumm vor ihm, dann sprudelte es aus ihr heraus: »Das wollte ich alles nicht, Herr. Es tut mir leid, was ich Euch angetan habe.«
»Leid?« Der König schmunzelte. »In gewisser Hinsicht bin ich dir dankbar.«
»Wie meint Ihr das?« Die grünen Hexenfeuer auf der Schwelle erstarben.
»Du hast mich aufgeweckt«, sagte König Salomo. »Ich hatte mich schon viel zu lange in meinem Turm verkrochen, von Schmerzen gepeinigt, von meiner Last niedergedrückt und nur mit dem Gedanken beschäftigt, wie ich den Ring sicher verwahre. Und was kam dabei heraus? Ich wurde immer schwächer und selbstgefälliger – und blind gegenüber dem Treiben meiner eigenen Zauberer, die eifrig dabei waren, meine Reichtümer zu plündern! Ja, ich bin dir tatsächlich dankbar. Der Ring mag verloren sein – aber dafür fühle ich mich lebendiger denn je. Endlich sind mir die Augen geöffnet worden. Und wenn ich sterben muss, dann zu meinen eigenen Bedingungen, nämlich im Kampf.«
Er griff in die auf dem Boden verstreuten Schätze und zog eine aus Gold geschmiedete Schlange heraus. Sie hatte Augen aus Rubinen, Smaragde zierten ihre Klauenfüße. Unter den Steinen auf den Zehen saßen kleine Scharniere. »Ich nehme an, man muss auf diese Erhebungen hier drücken«, sagte der König. »Auf geht’s!«
»Das übernehme ich. Ihr wartet hier.«
»Nein, diesmal gehen wir beide. Komm.«
Das Feuer auf der Türschwelle war endgültig erloschen. »Eins noch, Asmira«, sagte Salomo, als sie in den Saal hinaustraten, »ich bin nicht dein Herr. In der vielleicht letzten Stunde deines Lebens sollst du dich keinem Herrn mehr unterwerfen.«
Sie stiegen über die qualmenden Löcher und Risse im Fußboden und wären beinahe mit den Dämonen zusammengestoßen, die in Gestalt von drei Berberäffchen in Richtung Wunderkammer schlichen. Als die Affchen Salomo erblickten, machten sie kreischend kehrt. Der Zauberer Khaba, der sich mit verbissener Miene auf ein umgekipptes Sofa stützte, machte bei Salomos Anblick ein fassungsloses Gesicht.
»Verneige dich vor mir, Elender!«, donnerte Salomo.
Khaba fiel die Kinnlade herunter, seine Knie drohten nachzugeben. Dann hatte er sich wieder im Griff und kniff trotzig die blutleeren Lippen zusammen. Er gab den sich furchtsam duckenden Affchen ein Zeichen und trat vor: »Der Tyrann ist noch am Leben – und wenn schon?«, brüllte er. »Er hat ja seinen Ring nicht mehr!«
Salomo schritt auf ihn zu und schwenkte die goldene Schlange. »Entlasse deine Sklaven! Verneige dich!«
»Fürchtet euch nicht vor dem albernen Ding!«, rief Khaba seinen Äffchen zu. »Auf, ihr Sklaven, tötet ihn!«
»O Khaba…«
»Verneige dich, Elender!«, wiederholte Salomo. Nur wenige Schritte trennten ihn noch von dem Zauberer.
»Er ist wehrlos, ihr Dummköpfe! Wehrlos! Tötet ihn! Tötet sie alle beide!«
»O nein…«, raunte Asmira, »seht doch!«
»Liebster Khaba…«
Es kam von der Balkontür her. Khaba hielt inne und drehte sich um. Auch alle anderen wandten die Köpfe nach der Stimme.
Der Schatten schwebte mit flackernder Substanz vor dem Durchgang. Er hatte immer noch den Umriss des Zauberers, aber seine Silhouette zerfloss an den Rändern wie weiches Kerzenwachs. »Ich bin über Land und Meer geflogen«, verkündete er mit matter Stimme. »Ich bin sterbensmüde. Der Dschinn hat mich lange an der Nase herumgeführt, aber zu guter Letzt habe ich ihn doch noch erwischt.« Ein tiefer Seufzer. »Er hat sich gewehrt wie fünfzig Dschinn auf einmal! Aber nun ist es vorbei. Ich
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