Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
Herrschaft über das Land geteilt, mal als Rivalen, mal als Komplizen, und in der Glanzzeit Ägyptens wäre Khaba sicherlich im Lande geblieben und hätte sich mittels Intrigen oder Gift bis ganz nach oben gearbeitet. Aber der Thron von Theben war inzwischen alt und ramponiert, Jerusalem dagegen stand in voller Blüte. Von Ehrgeiz zerfressen, hatte Khaba von seinen Lehrern gelernt, was es zu lernen gab, dann war er nach Osten aufgebrochen, um sich an Salomos Königshof zu verdingen.
Wahrscheinlich lebte er schon viele Jahre hier, aber ihm haftete immer noch der Geruch der Tempel von Karnak an. Sogar jetzt, als er uns im Licht der hellen Mittagssonne gegenüberstand, umwehte ihn ein Hauch von Gruft.
Bis dahin war ich ihm nur in der Beschwörungskammer seines Turmes begegnet, und dort konnte ich den Zauberer nie richtig betrachten, weil ich mich in Qualen wand. Jetzt sah ich, dass sein Teint einen Graustich hatte, der auf unterirdische Tempel hinwies, und dass seine Augen groß und auffällig rund waren wie die Augen von Höhlenfischen, die ihr Leben lang im Dunkeln vor sich hin dümpeln. 21 Unter jedem Auge verlief ein schmaler, tiefer Striemen fast senkrecht über die Wange bis hinunter zum Kinn. Ob diese Male angeboren oder ihm von einem verzweifelten Sklaven zugefügt worden waren, blieb der Spekulation überlassen.
Kurz gesagt, ein echter Hingucker war Khaba nicht. Jede Mumie hätte die Straßenseite gewechselt, um ihm aus dem Weg zu gehen.
Wie die anderen mächtigen Zauberer war er schlicht gekleidet. Seine Brust war bloß, er trug einen einfachen Wickelrock. Am Gürtel baumelte eine lange, vielschwänzige Peitsche mit Ledergriff, um den Hals trug er eine Goldkette mit einem schwarzen, blank polierten Stein. Peitsche und Stein pulsierten vor Magie. Bei dem Stein handelte es sich vermutlich um einen magischen Spiegel, in dem der Zauberer weit entfernte Geschehen verfolgen konnte. Und die Peitsche? Die kannte ich leider zur Genüge. Ihr bloßer Anblick ließ mich trotz der warmen Sonne frösteln.
Die Reihe der Dschinn stand schweigend da, der Zauberer musterte uns nacheinander von oben bis unten. Dann verzog er das Gesicht, beschirmte die feuchten Glubschaugen mit der Hand gegen die grelle Sonne und ließ abermals den Blick über unsere Hörner, Schwänze und anderen außerplanmäßigen Accessoires schweifen. Seine Hand wanderte zum Gürtel, die Finger trommelten auf den Peitschengriff… und lösten sich wieder davon. Der Zauberer trat ein Stück zurück und wandte sich mit heiserer Stimme an uns.
»Ich bin Khaba«, verkündete er. »Ihr seid meine Sklaven und meine Werkzeuge. Ich dulde keinen Ungehorsam. Das macht euch als Allererstes klar. Zweitens hat unser aller Herr und Meister Salomo diesen Hügel für heilig erklärt. Hier oben wird jegliches ungehöriges Benehmen gleich welcher Art unverzüglich mit empfindlichen Strafen geahndet.« Er schlenderte vor unserer Reihe auf und ab, sein langer, dünner Schatten glitt hinter ihm her. »Seit dreißig Jahren tanzen nun schon Dämonen nach meiner Peitsche. Wer sich mir widersetzt hat, den habe ich zermalmt. Einige sind tot. Andere leben noch… gewissermaßen. Keiner jedoch ist an den Anderen Ort zurückgekehrt. Darum nehmt euch meine Warnung zu Herzen!«
Er machte eine Pause. Seine Worte hallten von den Palastmauern wider und verklangen.
»Wie ich sehe«, fuhr er fort, »habt ihr allesamt Salomos Erlass missachtet und eure Menschengestalten mit teuflischen Zusätzen abgewandelt. Falls ihr mich damit erschrecken wolltet, muss ich euch enttäuschen. Vielleicht haltet ihr dieses alberne Gehabe aber auch für eine Art ›Rebellion‹. Wenn das der Fall sein sollte, bestätigt es lediglich, was mir ohnehin klar ist, nämlich dass ihr viel zu eingeschüchtert seid, um etwas Eindrucksvolleres zu wagen. Wenn ihr euch damit wohler fühlt, mögt ihr eure Hörner heute behalten, aber ab morgen bekommt jeder, der sich so aufführt, meine Substanzpeitsche zu spüren.«
Er nahm die Peitsche vom Gürtel und fuchtelte damit vor unseren Nasen herum.
Mehrere meiner Kollegen wichen geschwind zurück und acht angstvolle Augenpaare verfolgten das Gewedel der Lederstrippen. 22
Khaba nickte zufrieden und hängte die Peitsche wieder an seinen Gürtel.
»Wo sind sie geblieben, die anmaßenden Dschinn, die gegen ihre vorigen Meister aufbegehrt haben?«, fragte er rhetorisch. »Ich sehe keine mehr! Ihr seid gefügig und gehorsam, wie es sich gehört. Kommen wir zu eurem
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