Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
wallte dieser plötzlich auf, man hörte ein lautes Schnappen und der Kobold war verschwunden. Der Schatten glitt weiter hinter dem Zauberer her, aber ehe er sich aus meinem Blickfeld entfernte, wandte er den über den Boden huschenden Kopf zu mir und schaute mich an – und in diesem Augenblick sah er gar nicht mehr aus wie der Schatten eines Menschen.
Mit zitternden Händen beendete ich meine Messungen und kletterte die Leiter mit weichen Knien wieder hinunter. Alles in allem ging man dem Zauberer Khaba wohl am besten aus dem Weg. Ich würde meine Arbeit so gut wie möglich erledigen und mich bedeckt halten. Bloß nicht auffallen, lautete meine Devise.
Das ging vier volle Tage lang gut. Dann nahm das Unheil seinen Lauf.
Asmira
10
D ie Hafenstadt Eilat war eine Überraschung für Asmira, deren Erfahrung mit Städten sich auf Marib und die dreißig Meilen weiter hinter den Feldern gelegene Schwesterstadt Sirwah beschränkte. So überfüllt, wie beide Städte besonders an Festtagen waren, so herrschte dort doch immer eine gewisse Ordnung. Die Priesterinnen trugen goldene Gewänder, die Stadtbewohner schlichte blauweiße. Bergbewohner waren für die Wachposten auf ihren Aussichtstürmen leicht an ihren langen rotbraunen Kutten zu erkennen. Die Wächter konnten eine Menschenmenge auf den ersten Blick einschätzen und beurteilen, wer womöglich Ärger machen würde.
In Eilat war das nicht so einfach.
Hier waren die Straßen breit, kein Gebäude hatte mehr als zwei Stockwerke. Asmira, die an die kühlen Schatten der Türme Sabas gewöhnt war, fand die Stadt verwirrend gesichtslos, ein glühend heißes Labyrinth aus weiß gekalkten Mauern, durch das sich Ströme von Menschen wälzten. Prächtig gekleidete Ägypter mit blinkenden Amuletten auf der Brust wurden von ihren Sklaven begleitet, die Kisten, Truhen und mürrische Kobolde in schaukelnden Käfigen schleppten. Drahtige, kleine Männer aus Punt balancierten Säcke mit Harz auf dem Rücken und schoben sich an Ständen vorbei, in denen Kaufleute aus Kusch silberne Dschinnfänger feilboten. Neben ihren Karren voller eigenartig gemusterter Felle und Häute stritten sich glutäugige Babylonier mit blasshäutigen Männern. Asmira erspähte sogar eine Gruppe Kaufleute aus Saba, die auf der beschwerlichen Weihrauch-Route hierhergekommen waren.
Auf den Dächern saßen Geschöpfe in Gestalt von Katzen und Vögeln und beobachteten stumm das Treiben.
Asmira stand am Stadttor und rümpfte angesichts der unkontrollierten Magie im Reich des Magierkönigs angewidert die Nase. An einer in die Stadtmauer eingelassenen Bude kaufte sie sich eine Portion gewürzter Linsen, dann stürzte sie sich ins Gewühl. Die Menge erfasste Asmira und trug sie davon.
Kaum hatte sie zwanzig Schritte zurückgelegt, spürte sie, dass sie verfolgt wurde. Als Asmira sich verstohlen umschaute, sah sie, wie sich ein hagerer Mann in einem langen hellen Gewand von der Mauer löste, an der er gelehnt hatte, und ihr nachging. Asmira wechselte zweimal die Richtung, dann drehte sie sich abermals um und stellte fest, dass der Mann immer noch da war. Er schlenderte hinter ihr her und schaute dabei auf seine Füße, als fände er die Staubwölkchen, die unter seinen Schritten aufwirbelten, ungemein spannend.
War das einer von Salomos Spitzeln? Jetzt schon? Das kam Asmira unwahrscheinlich vor, denn sie hatte sich in jeder Hinsicht unauffällig verhalten. Ohne Hast überquerte sie die Straße und duckte sich unter das Vordach eines Brotladens. Im brütend heißen Schatten beugte sie sich über die Körbe und sog den Duft der aufgeschichteten Brote ein. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich etwas Helles unter die Kunden am Fischstand nebenan mischte.
Zwischen den Brotkörben hockte ein runzliger Greis und mümmelte zahnlos Kathblätter. Asmira kaufte ihm einen Weizenfladen ab und sagte dann: »Guter Mann, ich muss dringend nach Jerusalem. Wie komme ich auf dem schnellsten Weg dorthin?«
Der Alte runzelte angestrengt die Stirn. Er hatte Mühe, ihr Arabisch zu verstehen. »Mit der Karawane.«
»Wo ist der Treffpunkt?«
»Auf dem Marktplatz am Brunnen.«
»Aha. Und wo ist der Marktplatz?«
Der Alte überlegte lange und mahlte dabei unablässig mit dem Unterkiefer. Schließlich antwortete er: »Am Brunnen.«
Asmira schob ärgerlich die Unterlippe vor. Sie schaute zum Fischstand hinüber. »Ich komme aus dem Süden«, sagte sie. »Ich kenne mich in der Stadt nicht aus. Geht es per Karawane
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