Bartimäus 04 - Der Ring des Salomo
Tintengasse?«
»Schon besser. Zu viert müssten wir mit ihr fertigwerden.«
Asmira hatte den Brotverkäufer nicht angelogen. Sie war wirklich keine Zauberin. Was nicht hieß, dass sie keine Erfahrungen in der Zauberkunst hatte.
Als sie neun Jahre alt gewesen war, hatte die älteste Ehemalige sie im Garten aufgesucht, wo das Mädchen gerade trainierte. »Komm mit, Asmira.«
Sie gingen in eine Kammer über dem Schulungssaal, die Asmira noch nie betreten hatte. Überall standen Schränke aus uraltem Zedernholz. Hinter den halb offenen Türen sah man ganze Stapel von Papyrusrollen, Tontafeln und beschriebenen Scherben. Auf den Boden in der Mitte des Raums waren zwei Kreise gemalt, von denen jeder einen fünfzackigen Stern einschloss.
Asmira strich sich eine Locke aus dem Gesicht und fragte skeptisch: »Wofür ist das hier alles?«
Die Älteste war achtundvierzig Jahre alt und hatte früher die Leibwache der Königin angeführt. Sie hatte drei Aufstände im Hadramaut niedergeschlagen. Über ihren faltigen Hals zog sich eine lange weiße Narbe, eine weitere prangte auf ihrer Stirn, und die Mitglieder ihrer Schwesternschaft begegneten ihr mit Bewunderung und Ehrfurcht. Angeblich hatte sogar die Königin einen gewissen Respekt vor ihr. Nun blickte sie auf das trotzig dreinschauende Mädchen hinunter und sagte freundlich: »Ich habe mir erzählen lassen, dass du gute Fortschritte machst.«
Asmira betrachtete eine auf dem Tisch ausgerollte Papyrusrolle. Sie war über und über mit enger Schnörkelschrift bedeckt – nur in der Mitte war Platz für eine Zeichnung, die flüchtige Skizze einer unheimlichen Gestalt, halb Rauch, halb Gerippe. Asmira zuckte die Achseln.
Die Ehemalige fuhr fort: »Ich habe dich beobachtet, wie du mit dem Messer umgehst. In deinem Alter konnte ich nicht so gut werfen. Deine Mutter auch nicht.«
Das Mädchen sah die Ältere nicht an, aber seine schmalen Schultern spannten sich. Dann wiederholte die Kleine ihre Frage, als hätte sie gar nicht zugehört: »Was ist das hier alles für magisches Zeug?«
»Wofür hältst du es denn?«
»Damit kann man Luftdämonen beschwören. Ist das nicht verboten? Die anderen Ehemaligen sagen, das dürfen nur die Priesterinnen.« Ihr Blick loderte. »Oder lügt Ihr etwa?«
Seit drei Jahren hatte die Älteste das Mädchen immer weder wegen Schwänzens, Ungehorsams und Frechheit züchtigen müssen, doch diesmal entgegnete sie nur: »Hör mir zu, Asmira – zweierlei kann ich dir anbieten. Erstens Wissen, zweitens…« Von ihrer ausgestreckten Hand baumelte eine silberne Halskette mit einem Anhänger in Gestalt der Sonne. Das Mädchen rang nach Luft.
»Ich muss dir nicht sagen, dass der Anhänger deiner Mutter gehört hat. Halt – noch ist er nicht dein. Hör mir erst einmal zu.« Sie wartete, bis das Mädchen sie wieder ansah: feindselig, scheinbar ungerührt. »Wir haben nicht gelogen. Tatsächlich ist es hier in Saba nur den Priesterinnen des Tempels erlaubt, Dämonen auf die übliche Art und Weise zu beschwören. Was auch gut und richtig ist! Dämonen sind überaus heimtückische Geschöpfe und eine Gefahr für jedermann. Denk nur daran, wie streitsüchtig die Bergstämme sind! Wenn ihre Anführer jedes Mal, wenn sie Streit mit ihrem Nachbarn haben, einen Dschinn herbeirufen könnten, würden jedes Jahr Dutzende Kriege ausbrechen und die Hälfte aller Stammesmitglieder wäre längst tot! Unter der Aufsicht der Priesterinnen können Dschinn sinnvolleren Zwecken dienen. Was glaubst du denn, wie die große Zisterne hier in Marib gebaut wurde oder wer die Stadtmauern errichtet hat? Die Dschinn helfen uns jedes Jahr, die Türme instand zu setzen und die verschlammten Wassergräben neu auszuheben.«
»Weiß ich«, erwiderte Asmira. »Die Dschinn arbeiten für die Königin, so wie die Männer auf den Feldern arbeiten.«
Die Ältere lachte in sich hinein. »Genau so ist es. Dschinn und Männer sind überhaupt recht ähnlich – man muss streng mit ihnen sein und darf ihnen nicht zu viel durchgehen lassen. Dann sind sie durchaus nützlich. Und jetzt pass auf: Auch die königliche Wache hat Verwendung für magische Unterstützung. Es ist unser Lebenszweck, unsere Herrscherin zu schützen. Dabei bedienen wir uns meist unserer körperlichen Fähigkeiten, aber manchmal reicht das nicht. Stell dir vor, ein Dämon greift die Königin an…«
»Dann würde eine Silberklinge völlig ausreichen«, fiel ihr das Mädchen ins Wort.
»Manchmal schon, aber nicht immer.
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