Bassus (German Edition)
gehabt, dass auch diese seltsame Gwanwyn an seinem Bett stand. Aber ganz sicher war er nicht.
Waren es auch diese Besuche gewesen, die ihn letztendlich weiterleben ließen?
Waren diese Menschen seine Freunde? Sollte er sich an sie wenden?
Er schmierte Erdnussbutter auf mehrere Stücke Vollkornbrot. Sein Lebensmittellager war gut gefüllt. Und er ernährte sich auch wieder gesund. Nicht mehr mit dem süßen und fetten Dreck, den er in der ersten Zeit wahllos in sich hineingestopft hatte.
Gut, dass er seine Ersparnisse hatte. Niemand hatte das Versteck gefunden.
Er hielt inne. Nein. Er konnte diese selbst ernannten Freunde nicht in seine Geschichte hineinziehen. Er konnte ihnen nicht zumuten, gegen Gesetze zu verstoßen. Besonders von einer Kriminalkommissarin konnte er das nicht erwarten. Und außerdem, eigentlich kannte er sie ja auch gar nicht richtig. Würden sie denn alle dichthalten? Nun, Ralf wahrscheinlich schon, das hatte er bewiesen. Aber Franzi? Und die Kommissarin? Nein, das war kein Weg.
Außerdem wollte er niemandem mehr nahe sein. Nie wieder.
Er musste es selbst tun. Er musste sich eben genial gut verkleiden.
Entschlossen schnitt er die Banane in Scheiben und belegte damit die Erdnussbutterbrote. Er brauchte Kraft.
„War in irgendeinem Zusammenhang einmal von einem Versteck die Rede? Einem Ort, wo man untertauchen könnte?“
Gwanwyn hatte Franzi und Ralf zu sich eingeladen und konnte direkt sehen, wie sie angestrengt nachdachten. Ralf hatte sich auf dem Sofa zurückgelehnt und die Arme im Nacken verschränkt.
Plötzlich richtete er sich wieder auf.
„Ist dir etwas eingefallen?“
„Wir haben letztes Jahr mit der Klasse mal eine Wanderung gemacht. Unser Biolehrer hatte einen Förster engagiert, der uns alles über das Ökosystem Wald erzählen sollte.“
„Ja, stimmt“, unterbrach ihn Franzi und sah Gwanwyn an. „Dauernd mussten wir uns in die Büsche schlagen und nach Tieren oder Pflanzen Ausschau halten.“
„Genau. Ich war mit Tony besonders weit gegangen. Und da haben wir eine Holzhütte entdeckt. Sie war völlig heruntergekommen. Man konnte sehen, dass sie schon lange von niemandem mehr benutzt wurde.“
„Bingo“, sagte Gwanwyn feierlich, „dort ist er, wetten?“
Ralf schüttelte den Kopf. „In so einer Bruchbude? Außerdem würde ich da nie wieder hinfinden. Und Tony auch nicht. Da bin ich mir ganz sicher. Ich weiß nicht einmal mehr, wo genau wir bei diesem Ausflug überhaupt waren. Wir sind ewig mit dem Bus durch die Landschaft gefahren.“
„Wir fragen einfach den Biolehrer“, sagte Franzi.
Ralf runzelte die Stirn. Dann nickte er.
Es gab kaum noch Internetcafés. In der Nähe eines Asylbewerberheims hatte er endlich eines aufgetrieben. Mit dunkler Schminke sorgte er dafür, dass er nicht auffiel. So konnte er in aller Ruhe recherchieren. Mit „professionelles beschatten von personen“ hatte er begonnen. Aber die Ausbeute war mager. Erst als er zu englischen Suchwörtern überging, bekam er brauchbare Informationen. „Surveillance techniques”, “covert observation”, “scouting”, „clandestine activities“, „reconnaissance methods and techniques“, „tailing and disguising“, “espionage techniques.” Wow, wow, wow.
Er las gebannt und druckte alles aus.
Es wurde bereits dunkel, als er mit seinem geklauten Fahrrad durch den Wald zur Hütte fuhr. Er musste sich beeilen. Wenn es ganz dunkel war, würde er den Weg nie finden, auch wenn er ihn in den letzten Wochen schon einige Male zurückgelegt hatte.
Er schaffte es im letzten Moment. Als er die Tür aufstieß, war es bereits Nacht.
Drinnen zündete er gerade seine Teelichter an, als eine Stimme sagte: „Bitte erschrick nicht, Tony.“
In der Tür stand Gwanwyn.
Sie hob beschwichtigend die Hände.
„Ich bin als Freundin hier. Und ich soll dich von Franzi und Ralf grüßen.“
Da er schwieg, fuhr sie fort: „Niemand wird erfahren, dass du hier bist. Du kannst dich darauf verlassen.“
Ihm wurde bewusst, dass er die ganze Zeit die Luft angehalten hatte.
„Wir müssen reden, Tony. Darf ich mich setzen?“
Er atmete aus.
„Ich habe dir auch etwas Obst und Kekse mitgebracht.“ Sie deutete auf eine Plastiktüte.
„Ich bin versorgt.“
„Bitte, Tony. Ich möchte dir einen Vorschlag machen.“
Widerstrebend bot er ihr einen Hocker an.
Es hatte Stunden gedauert, bis sie allmählich zu ihm durchgedrungen war. Als sie ihn am nächsten Morgen bei Tageslicht sah, erschrak
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