Bassus (German Edition)
Trotz seines schweren Rucksacks ging er lautlos und schnell. Er hoffte, dass er so am wenigsten auffiel.
Er erreichte den vierstöckigen Wohnblock und schlüpfte durch eine Lücke im Zaun in den hinteren Hof. An den Mülltonnen vorbei ging er zur Kellertür und schloss sie auf. Bei einem seiner früheren Erkundungsgänge war er im Gras auf einen Schlüsselbund getreten. Ein glücklicher Zufall. Er betrachtete ihn als gutes Omen. Die Schlüssel hatte er alle nachmachen lassen und danach im Haus auf die Treppe gelegt. Gott sei Dank war niemand auf die Idee gekommen, deswegen alle Schlösser auszutauschen.
Leise stieg Tony die Treppe hinauf. Oben betrat er einen Speicherraum, in dem einige Möbelstücke gelagert wurden, und schloss hinter sich ab.
Er trug den kleinen viereckigen Tisch zum Dachfenster und stellte einen Korbstuhl darauf. Als er saß, öffnete er das Dachfenster einen Spalt breit und nahm das Nachtfernglas aus dem Rucksack. Er erschrak, als er Roland plötzlich direkt vor sich sah. Er war so nah, dass Tony für einen Moment fürchtete, sein Vater könnte seine Gegenwart spüren. Aber das war natürlich Unsinn.
Ein leerer Babykorb stand neben dem Sofa, und zwischen Roland und der jungen Mutter war die Beziehung nicht mehr so rosig wie noch im Dezember. Roland wirkte genervt. Die junge Frau legte die Arme um seinen Hals. Er stieß sie weg. Sie war klug genug, es nicht noch einmal zu versuchen, sondern wich einige Schritte zurück und redete besänftigend auf ihn ein. Seinem Gesichtsausdruck nach brüllte er sie an. Sie lief aus dem Zimmer. Roland griff in seine Hosentasche und holte sein Handy hervor. Aufmerksam hörte er zu und drehte sich dabei weg.
Irgendetwas an seiner Haltung wirkte beunruhigend.
Roland steckte das Handy wieder ein und schien etwas zu rufen. Er zog seine Jacke an. Die junge Frau kehrte mit dem Baby auf dem Arm zurück. Roland sagte etwas zu ihr. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Er ließ es geschehen, küsste sie aber nicht zurück. Auch das Baby küsste er nicht; er ging einfach.
Tony richtete das Fernglas auf den Eingangsbereich. Roland kam in Begleitung eines muskelbepackten, jüngeren Mannes heraus, der in ein Funksprechgerät sprach. Mit dem Chauffeur, der im Wagen wartete, sprach er jedoch nicht.
Es gab also noch einen weiteren Bodyguard. Aber wo war der?
Doch so gründlich Tony die Umgebung auch absuchte, er konnte niemanden entdecken. Roland und der muskelbepackte Mann stiegen in den Wagen, und der Chauffeur fuhr los.
Danach beobachtete Tony noch eine Weile die junge Frau. Sie sah sehr unglücklich aus. Und er hatte den Eindruck, als ob es nicht deshalb war, weil Roland gegangen war.
Tony war sicher, dass Roland heute Abend nicht wieder kommen würde, und so packte er seine Sachen zusammen und stellte den Tisch und die Stühle an ihre Plätze zurück.
Gerade als er die Kellertür wieder hinter sich abgeschlossen hatte, hörte er ein Geräusch. Blitzschnell drehte er sich um, sah aber nur noch eine große, kräftige Gestalt mit einem stockähnlichen Gegenstand. Tony duckte sich weg, und der Schlag traf ihn seitlich auf den Rücken. Er war mit solcher Wucht geführt worden, dass er auf sein Gesicht fiel und keine Luft mehr bekam. Der nächste Schlag würde tödlich sein. Aber Tony spürte ihn nicht mehr. Es war nur noch dunkel, und er fiel ins Bodenlose.
So also war es zu sterben. Wo war der Tunnel mit dem hellen Licht am Ende, auf das man angeblich zuschwebte?
V
Immer noch fiel er. Nach einer Ewigkeit nahm er seltsame Geräusche wahr. Sie klangen wie Meeresrauschen und die Töne, die aus dem Radio kamen, wenn man nachts einen Sender suchte. Irgendwann erkannte er, dass es das Murmeln von Stimmen war. Mal waren sie lauter, mal leiser. Manchmal schienen sie ganz nah zu sein und im nächsten Moment wieder von weit her zu kommen. Es gab zornige und freundliche Stimmen, Schreie und Flüstern, in Sprachen, die er nicht verstand.
Nach einer weiteren Ewigkeit wurde ihm bewusst, dass er sich nicht mehr drehte und auch nicht mehr zu fallen schien. Er war endlich - wo auch immer - angekommen.
Er versuchte sich aufzusetzen. Sofort wurde ihm so übel, dass er die Augen schloss und liegen blieb. Wieder schlief er ein.
Er träumte, dass er in einem Zug saß, der eben anfuhr. Gwanwyn rannte
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