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Bassus (German Edition)

Bassus (German Edition)

Titel: Bassus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Eisenmann
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Melanie und ich hatten nie einen Draht zu ihm.“
    Für einen Moment trat Stille ein. Es war schwer, an Tonys Miene abzulesen, was in ihm vorging. Gwanwyn kam sie jedoch nicht mehr ganz so versteinert vor.
    Nach einer Weile räusperte sich Tony. „Hier sind übrigens Infos über Beschattungstechniken.“
    Er reichte ihnen eine Mappe. Es waren englischsprachige Artikel aus dem Internet.
    „Du verstehst das alles?“, fragte Gwanwyn überrascht.
    „Klar“, antwortete Franzi anstelle von Tony.
    Und Ralf fügte hinzu, „Tony ist ein Sprachengenie, aber nicht nur in Englisch. Auch in Latein.“
     
    Er lag auf dem Campingbett und las. Immer wenn er Roland nicht hinterher spionierte, arbeitete er sich durch die Bibliothek von Gwanwyns Vermieterin.
    Gwanwyn hatte die neue Adresse der Freundin in wenigen Tagen herausgefunden. Dann hatte er weiter gemacht. Mit Franzis und Ralfs Hilfe schlüpfte er dabei dauernd in neue Rollen. Mal war er eine Musikschülerin mit Geigenkasten, mal ein älterer Mann mit Stock, mal eine Hausfrau mit einem Einkaufstrolley.
    Er musste auch keine neue Kamera stehlen, denn Gwanwyn hatte ihm ihre gegeben. Und als er andeutete, dass er ein Nachtfernglas gebrauchen könnte, hatte Gwanwyn ihn gebeten, eines im Internet auszusuchen.
    Tony fühlte sich ein bisschen schuldig, weil er ihr nicht verriet, dass er jede Menge Geld besaß. Aber das war besser so, er wusste schließlich nicht, wofür er es noch brauchen würde.
    Jemand schloss die Wohnungstür auf. Kurz danach betrat Gwanwyn mit einem Päckchen unter dem Arm seine Kammer und setzte sich auf einen Hocker.
    „Tony“, sagte sie feierlich und sah ihm dabei ungewohnt ernst in die Augen. „Bevor ich dir das Nachtfernglas gebe, habe ich noch eine Bitte an dich.“
    „Okay, schieß los.“ Was hatte sie denn?
    Sie zog ein bronzenes Medaillon aus ihrem Pullover.
    „Könntest du mir einen Gefallen tun und das hier tragen?“ „Klar, kein Problem.“
    Gwanwyn lächelte. „Danke.“
    Tony betrachtete es interessiert. Auf der einen Seite war ein Ornament, das wie ein komplizierter, verschlungener Knoten aussah. Auf der Rückseite waren Buchstaben eingeritzt. 
    „T.F.B.? Was bedeutet das?“
    „Es sind die Anfangsbuchstaben eines Namens.“
    „Das Ornament sieht keltisch aus, aber das Ding ist neu. Es kann also nicht ausgegraben worden sein.“
    „Du überraschst mich immer wieder, Tony“, sagte Gwanwyn anerkennend. „Ja, es ist ein altes keltisches Amulett, und es ist gleichzeitig neu. Mehr kann ich dir dazu leider nicht sagen.“
    Alt und gleichzeitig neu? Gwanwyn war manchmal wirklich ein bisschen seltsam.
    Er zog die Kette mit dem Medaillon über den Kopf.
    „Aber sehen muss man es nicht, oder?“
    „Nein, du kannst es ruhig verstecken.“
    „Gut.“ Er stopfte das Medaillon in seinen Kragen.
    Sie schien erleichtert und gab ihm das Päckchen.
     
    Als sie am nächsten Abend nach Hause kam, packte er das Nachtfernglas gerade in seinen Rucksack. Zuvor hatte er ihn komplett geleert. Er war überrascht gewesen, als er sah, was er seit seiner Flucht aus der Psychiatrie so alles zusammengesammelt hatte: Eine Taschenlampe, einen Laserpointer, Heftpflaster, mehrere Kugelschreiber, ein Schreibheft, Schmerztabletten, ein Feuerzeug, einen solarbetriebenen Taschenrechner, Kaugummi, Schokolade und natürlich sein Taschenmesser. Dazu kam weiterer Kleinkram in den Seitentaschen. Was man eben so brauchte. Er konnte auf nichts davon verzichten.
    „Ist der Platz, den du gefunden hast, auch wirklich sicher?“, fragte Gwanwyn.
    „Ja. Es ist der Speicher eines Mehrfamilienhauses in der Nähe.“
    „Und wie kommst du da hinein?“
    „Ich habe einen Weg gefunden.“
    „Pass gut auf dich auf, Tony.“
    „Keine Sorge.“
    Sie aßen gemeinsam zu Abend. Danach schmierte Gwanwyn ihm noch Leberwurstbrote und steckte sie in eine Papiertüte. Sie reichte sie ihm zusammen mit einer großen Plastikflasche voll Apfelschorle. Er packte alles ein. Dann zog er seinen Anorak an, setzte den schweren Rucksack auf und verließ die Wohnung.
     
    Zuerst fuhr er mit der S-Bahn nach Norden. Danach folgte er zu Fuß einer Hauptverkehrsstraße, auf der trotz des späten Abends noch viele Autos unterwegs waren. Wahrscheinlich war es wegen des morgigen Feiertags. Der erste Mai. Wahnsinn. Wo war der April geblieben?
    Tony bog in eine Seitenstraße ein und lief weiter. Er war jetzt in einem vornehmeren Viertel. Die Häuser lagen weit auseinander, mit viel Grün dazwischen.

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