BASTET (Katzendämmerung) (German Edition)
unmöglichen Winkeln verdreht. Radd zuckte nur mit den Schultern. Für ihn war der grausige Fund ein gutes Zeichen; immerhin war nun davon auszugehen, dass keiner der Besitzer mehr die Polizei alarmieren würde.
Er erreichte schließlich den Gipfel, von wo er ohne große Mühe durch einen schmalen, sehr hohen, nun fensterlosen Wanddurchbruch einsteigen konnte. Im Inneren des Hauses setzte sich das Chaos fort. Schwere Stützbalken waren von der Decke gefallen und hatten sich teilweise ganz durch den Fußboden gebohrt. Noch vorsichtiger als auf dem Schuttberg bewegte sich Radd vorwärts. Durch die verschobene Geometrie nahezu aller Objekte hatte er einige Mühe, die Funktion des Raumes zu entschlüsseln. Das mit aufwändigen Schnitzereien verzierte Fußteil eines Bettes, das irgendwo flach auf dem Boden lag, gab ihm den notwendigen Anhaltspunkt. Ein Schlafzimmer. Nur weitere Leichen statt Geld , dachte er geschäftsmäßig.
Er war gerade dabei, einen der Nebenräume zu erreichen, als er ein schwaches Wimmern vernahm. Es klang wie das Miauen einer Katze.
Verwirrt blieb er stehen und suchte nach der Quelle des Geräuschs. Radd empfand vor Tieren weitaus mehr Respekt als vor jedem menschlichen Wesen. Tiere waren für ihn unschuldige Kreaturen, die nicht für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden konnten, Menschen dagegen besaßen ein Gewissen, ein klares Bewusstsein, von dem, was richtig und was falsch war; und stets entschieden sie sich für die falsche Möglichkeit.
Keuchend, auf allen Vieren kriechend, zwängte er sich in den hinteren Teil des Zimmers. Als er das Mädchen sah, waren alle Gedanken an verletzte Katzen, an Schmuck oder Gold mit einem Mal vergessen. Trotz des weißen Staubs, der ihr Gesicht bedeckte, erkannte Radd, wie überaus schön sie war. Ihr Alter war schwer zu bestimmen. Er schätzte sie auf 15 oder 16 Jahre. Auch ihr langes schwarzes Haar war durch Gips und Mörtel gräulich weiß gefärbt worden. Radd zuckte zusammen. Hatte er sich etwa von einer Marmorstatue in die Irre führen lassen? Erst als er einen ihrer Arme umfassen konnte, spürte er, dass diese Perfektion tatsächlich menschlicher Natur war. Und sie lebte!
Die schöne Unbekannte war von einem Schrank eingekeilt worden, der wiederum unter einem Deckenbalken lag. Wollte er sie befreien, so musste er den Schrank um eine Winzigkeit anheben. Die ersten Versuche, das Möbelstück mit Händen oder Füßen zu bewegen, schlugen fehl. Radd empfand dabei die Tatsache, dass das Mädchen ohnmächtig war, als äußerst hilfreich. Panik und Schmerzen konnten zu unkontrollierten Bewegungen führen. Angesichts des instabilen Zustandes des Fußbodens galt es aber, jedes ›Zuviel‹ an Dynamik zu vermeiden.
Die Bergung dauerte fast eine Stunde. Erst mit Hilfe eines langen Holzbretts, das Radd als Hebel einsetzte, gelang es ihm, den Schrank um wenige Zentimeter nach hinten auf ein höheres Hindernis zu schieben. Als er die Verschüttete endlich hervorziehen konnte, war er selbst einer Ohnmacht nahe. Seine Mühe hatte sich aber gelohnt; bis auf ein paar Schrammen schien das Mädchen unverletzt zu sein. Radd strahlte über sein verschwitztes Gesicht. Und was man gefunden hat, das darf man auch behalten , dachte er.
Nach einer kleinen Ruhepause fühlte er sich wieder kräftig genug, um den Abstieg zu wagen. Zu seiner Freude schien sein schönes Fundstück fast nichts zu wiegen; dennoch gestaltete sich der steile Weg über die Ruinen als äußerst schwierig. Mehrmals drohte er zusammen mit seiner kostbaren Fracht kopfüber nach unten zu stürzen; zu seinem Glück fand er jedoch immer wieder einen rettenden Halt.
Unten angekommen legte er das Mädchen auf ein freies Rasenstück. Als Unterlage diente sein Mantel, den er vor der Kletterpartie hier zurückgelassen hatte.
Nachdenklich betrachtete er den leblosen Körper. Seine neue Freundin brauchte unbedingt etwas zu trinken; als er sie fand, hatte sie aller Wahrscheinlichkeit nach seit mehr als 10 Stunden unter den Trümmern gelegen. In Ermangelung von Wasser versuchte er ihr daher, den Rest seines Rotweins einzuflößen. Das Mädchen erwachte nicht vollständig; mehrmals jedoch verschwand die Flüssigkeit in ihrer Kehle.
Etwa gegen 15 Uhr brach Radd auf. Da mittlerweile auch immer mehr Menschen den Broadway bevölkerten, wurde ihm ein hohes Maß an Geduld abverlangt, bis er das Anwesen endlich unbemerkt wieder verlassen konnte. So schnell es seine Last zuließ, hastete er zurück zur Fillmore und
Weitere Kostenlose Bücher