Bateman, Colin
Melancholie
ist. Gleichzeitig bereitete ich mich innerlich darauf vor, den Sorgen meines
Kunden zu lauschen.
Er hieß Albert Mclntosh, und
sobald er sich vorgestellt hatte, betrachtete ich mir den Mann etwas
gründlicher, weil mir sein Name irgendwie bekannt vorkam. Er erzählte mir die
übliche herzzerreißende Geschichte, die geschlossene Detektei nebenan hätte ihn
schmählich im Stich gelassen, er habe aber gehört (irrtümlicherweise natürlich
- da bin ich sehr gewissenhaft), ich hätte ihren beträchtlichen Bestand an
Fällen geerbt.
Seinen Erzählungen zufolge war
er Geschäftsführer einer kleinen Werbeagentur in der Innenstadt. Er hatte
fünfzehn Angestellte, einen respektablen Umsatz und einen guten Ruf. »Wir
gehören nicht zu den Trendsettern, sind mehr Mittelklasse. Solide. Verlässlich.
Wir hatten dreiundzwanzig Jahre lang den Etat von Dennys Schweinswürstchen.
Das Problem ist folgendes: Vor etwa sechs Wochen bin ich in die Agentur
gefahren, die gleiche Strecke wie schon mein gesamtes Berufsleben, wobei ich
immer unter dieser Eisenbahnbrücke durchkomme, hinter der man auf den West Link
abbiegt. Und an dem bewussten Tag musste ich feststellen, dass jemand etwas auf
die Überführung geschmiert hatte ... nun ja, er hat in riesigen roten Buchstaben
geschrieben: Albert
Mclntosh ist eine Schwuchtel. Verständlicherweise war ich äußerst aufgebracht.
Zwanzigtausend Autos rollen jeden Morgen im Berufsverkehr unter dieser
Überführung hindurch. Viele davon sind mit mehreren Insassen besetzt. Und dann
sind da noch die Busse, und weiß der Himmel, wahrscheinlich kann man es sogar
vom Zug aus lesen, wenn man den Hals verrenkt.«
Er wirkte völlig verstört. Ich
fahre selbst häufig unter dieser Eisenbahnbrücke hindurch, daher kam mir sein
Name vermutlich auch so bekannt vor. Allerdings gab es da noch einige Fakten zu
klären, bevor ich auch nur im Entferntesten daran denken konnte, mich auf
diesen Fall einzulassen.
»Was ärgert Sie mehr: dass Ihr
Name in einem solchen Zusammenhang auftaucht oder der fragliche Wahrheitsgehalt
dieser Behauptung?«, wollte ich wissen.
»Beides! Wie würde es Ihnen
gefallen, wenn jemand Ihren Namen so missbraucht? Wenn nicht bald was geschieht,
wird Albert Mclntosh zu einer Art groteskem Synonym für Menschen dieser ... äh
... Neigung.«
»Haben Sie etwas gegen
Menschen mit dieser ... äh ... Neigung?«
»Nein! Und das ist doch auch
gar nicht der Punkt!« Ich nickte nachdenklich. »Haben Sie bereits etwas veranlasst?«
»Ja«, erwiderte er ein wenig
zögerlich. »Ich bin zu den Verkehrsbetrieben und zur Stadtverwaltung gegangen,
und die sind übereingekommen, irgendeinen Trottel loszuschicken, um es zu
übermalen.«
»Und...?«
»Und als ich am nächsten Tag
zur Arbeit gefahren bin, stand es wieder da. Nur hieß es diesmal: Albert Mclntosh ist immer noch
eine Schwuchtel. Ich habe mich erneut beschwert, aber die haben mir erklärt, es könnte
bis zu drei Monate dauern, bevor sie wieder Zeit für die Angelegenheit haben.
So lange kann ich unmöglich warten. Ich werde ja zum absoluten Gespött. Und aus
diesem Grund wollte ich Ihren Freund nebenan besuchen.«
Der Detektiv nebenan war nie
mein Freund gewesen, und überhaupt war mir Mr. Mclntoshs ganzes Gehabe nicht
sonderlich sympathisch, doch die Tatsache, dass der Urheber dieser angeblichen
Verleumdung gleich zweimal zugeschlagen hatte, weckte meine Neugier. Die sich
dahinter verbergende Entschlossenheit ließ das Verbrechen gewissermaßen in
eine andere Liga aufrücken - es schien sich weniger um einen einmaligen Akt des
Vandalismus und der Rachsucht zu handeln, vielmehr hegte hier jemand einen
grundsätzlichen Groll. Ein Seriensprayer, der seine blutroten Spuren als
Herausforderung hinterließ für jemanden, der es mit ihm aufzunehmen wagte.
Zudem hatte er bei seiner Tat eine gehörige Portion Unverfrorenheit bewiesen.
Mich beschlich das Gefühl, dass er einen würdigen Gegner abgäbe. Er würde mein Hannibal Lecter, mein
Professor Moriarty, meine Nemesis.
Albert Mclntosh wollte, dass
die Graffiti dauerhaft entfernt und der Schmierfink dingfest gemacht wurde.
Mir schwebte schon länger ein kleiner Anbau an der Rückseite des Ladens vor.
Wahrheit und Gerechtigkeit würden sich irgendwo in der Mitte treffen.
6
Obwohl die Angelegenheit
dringlich war, zumindest aus Albert Mclntoshs Sicht, wusste ich aus Erfahrung,
dass blinder Eifer nur schadet. Ein möglicher erster Schritt schien mir zu
sein, die
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