Batmans Schoenheit
noch um einiges höher lagen als im hochsommerlichen Wien. Die Unerreichbarkeit des Meeres um Madeira – man könnte sagen, das Meer winkte einem kokett zu, ohne sich anzufassen zu lassen – vermittelte Cheng ein Gefühl der Sinnlosigkeit.
Nun gut, hier war das Wasser also eher zum Anschauen gedacht, zudem war man ja wegen der Pflanzen gekommen, nicht zuletzt wegen eines Schmetterlings, des Großen Kohlweißlings, der allerdings seit jenem Jahr 1977, als eine portugiesische Boeing über die Landebahn geraten war, von niemand wieder gesehen worden war. Nicht, daß ein Zusammenhang bestand zwischen verschwindenden Schmetterlingen und abstürzenden Flugzeugen, aber es gab zwei, drei Leute in Chengs Gruppe, die versuchen wollten, einen solchen Madeiran Large White aufzustöbern, um somit den Verdacht zu entkräften, er existiere gar nicht mehr. Angehende Landschaftsarchitekten waren im Grunde sehr viel optimistischer als ihre Kollegen aus der Zoologie und Botanik, sie glaubten noch an eine glückliche Verbindung von Mensch und Natur, an eine exemplarische Harmonisierung der gegebenen und der gemachten Welt. (Faktum war leider, daß genau dreißig Jahre, nachdem der Große Weiße verschwunden war, und etwa siebenundzwanzig Jahre nach Chengs Madeira-Besuch, sowie am Ende von fünfzehn Jahren intensiver Suche durch einige Forscher, man auf einer Konferenz im deutschen Laufen im Winter 2007 den Madeira-Kohlweißling für ausgestorben erklären mußte.) Aber wie gesagt, damals bestand noch die Hoffnung, das seltene Tier zu Gesicht zu bekommen. Und wenn nicht dieses, dann ein anderes. Landschaftsarchitekten tendieren sowieso dazu, zu nehmen, was sie kriegen. Was auch sonst?
Im Falle Chengs sollte es jedoch ein völlig anderes Tiererlebnis werden, das ihm auf dieser Insel zustieß. Dabei hatte er es überhaupt nicht mit Tieren, aber die Tiere mit ihm, wie dann auch später in seinem Leben das Auftauchen der Katze Batman und das des Hundes Lauscher bestätigen würde. Und selbst Krebs Batman hätte ja eigentlich der Krebs Lenas und nicht der ihres Stiefvaters werden sollen. Aber die noch immer beste Liebe im Leben, gleich zu was für einem Wesen, ist sicherlich die, die man sich nicht aussuchen kann.
Während die Milch am Himmel sich verzog und der Äther ungehindert einen Abdruck des Meers bilden konnte, bezog die »Wiener Gruppe« ihr an den Westhang von Funchal gebautes Quartier, ein einstöckiges Haus mit einem hübschen, verwilderten Garten und einer kleinen, offenen Terrasse, von der man einen freien Blick auf die Altstadt und den Hafen besaß. Wobei das Sonnenlicht sich nun derart heftig auf die eng bebaute Fenchelstadt ergoß, daß man eher meinte, auf den Hohlspiegel eines stark reflektierenden Radioteleskops hinunterzublicken.
Nachdem Cheng zusammen mit dem einzigen Mann, den man in dieser Gruppe als seinen Freund bezeichnen konnte, Benno, den aber alle Benny nannten, das kleine, rückwärtige Zimmer bezogen hatte, ging er hinunter auf die Terrasse. Auch die anderen waren gekommen, erste Flaschen Alkohol – Dutyfree, eins der magischen Wörter dieser Zeit – standen auf dem Tisch, Gläser füllten sich, die Glut der Zigaretten konkurrierte mit der Glut des Tages, die bleiche Haut von gestern trug ein erstes Rot. Ausgenommen natürlich Sehnaz, deren braune Beine aus den Shorts geschenkartig herausflossen, ein Geschenk an die Phantasie der Jungs, die hier saßen und sich unrealistischerweise alle irgend etwas ausrechneten. Übrigens war das andere Mädchen in dieser Gruppe keineswegs ein häßliches Entlein. Aber sie hielt sich mit jeder ihrer Bewegungen und Äußerungen im Hintergrund, sie besaß etwas Flüchtiges, tauchte auf, verschwand, tauchte auf … Sie gehörte zu den Menschen, die gerne vergessen werden, schon als Kinder, an Bushaltestellen, im Schwimmbad, im Supermarkt sowieso. Und die sich an diesen Umstand gewöhnen, bis sie dann am Ende ihres Lebens in irgendeinem Heim vergessen werden, ohne böse Absicht, einfach so. – Wer, bitteschön, war Eva?
Während da nun alle so saßen, auch Eva, auch Sehnaz, entstand eine Diskussion über die genaue Planung der Aktivitäten. In jedem Fall wollte man so rasch als möglich eine der Levadas aufsuchen. Denn obgleich niemand es zuvor so deutlich ausgesprochen hatte, waren es genau jene von Menschenhand gefertigten schmalen Wasserwege, die die größte Faszination auf die angehenden Landschaftsgestalter ausübten, mehr noch als ein verschwundener Schmetterling
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