Batmans Schoenheit
Red.
»Ja, mir wäre lieber, ich könnte das auch sagen«, äußerte Cheng. »Kann ich aber nicht. Die ganze traurige Geschichte hat sich vor einer kleinen Ewigkeit dort zugetragen. Ich war schon damals der Ansicht, daß man nicht ins Ausland fahren sollte, daß man, genau genommen, gar nicht erst versuchen sollte, aus Wien hinauszukommen. Eine gute Regel. Immer dann, wenn ich sie verworfen habe, gab’s ein Unglück.«
Cheng drückte seine Zigarette aus und lehnte sich noch etwas zurück. Es war, als hätte der Bankrücken unter dem Schmerz des auf seinem Holz erloschenen Stummels ein wenig nachgegeben.
Der Einarmige begann zu erzählen.
Zwölftes Bild:
Sotidog
Die Sache lag etwa dreißig Jahre zurück, 1979 oder 80 , Cheng hatte ein Jahr zuvor sein Studium begonnen, Landschaftspflege und Landschaftsarchitektur, was weniger eine Entscheidung für ein bestimmtes Fach gewesen war, sondern gegen alle anderen, also ein klassisches politisches Votum. Das Zuschneiden einer Hecke erschien ihm sympathischer als das Aufschneiden eines Menschen und womit man sonst noch sein Geld verdienen konnte.
Am Ende des Sommersemesters beschlossen einige Studienkollegen, auf die Atlantikinsel Madeira zu reisen, wegen der bekanntermaßen ausgeprägten Flora. Oder wegen des Weins, der in den Ohren der jungen Leute einen verruchten Klang besaß. Nicht zuletzt reizte sie der berühmte, an den Steilhang gebaute Flughafen Santa Catarina, der damals noch ausgesprochen kurz war und nur von speziell dafür ausgebildeten Piloten angeflogen werden durfte. Drei Jahre zuvor war eine Boeing bei starkem Regen über das Ende der Landebahn gerutscht und auf die Klippen gestürzt. Für die jungen Studenten schien dieser Umstand erstaunlicherweise etwas Einladendes zu besitzen. Dabei war das zu dieser Zeit natürlich keine billige Reise und was sonst noch dagegen sprach, zudem wollte Cheng ja gar nicht mit. Allerdings befanden sich auch zwei Frauen in der geplanten Gruppe, von denen es eine Cheng ziemlich angetan hatte. Eine persische Schönheit. Nein, schön ist gar kein Ausdruck, sie wirkte nicht eigentlich echt, eher aus Stein, der in den Millionen Jahren, da er den Elementen ausgesetzt gewesen war, diese vollendete Form angenommen hatte. Dadurch, daß er sich fortwährend in der idealen Position befunden hatte, vergleichbar unserer Erdkugel, die schließlich auch nirgend anders stehen dürfte, als dort, wo sie steht. Ja, während andere Frauen Mars- und Mondgesichter aufwiesen, ganz zu schweigen von den hochgiftigen, schwefeligen Venusgesichtern, besaß Sehnaz ein Planetengesicht aus glattem, glänzendem Stein, auf dem sich Nase, Augen und Mund mehr zu spiegeln schienen, als daß sie wirklich vorhanden waren. Nun, es gab auch Leute, die meinten, Sehnaz sei eine schreckliche Zicke, das verwöhnte Mädchen eines unter dem Schah einstmals einflußreichen Mannes, der mitsamt seiner ganzen Familie nach Europa hatte flüchten müssen, wo er nun seine Kinder über die westlichen Länder verteilte. Wobei er offensichtlich sein Vermögen schon vor der Familie in Sicherheit gebracht hatte, denn Sehnaz konnte sich weit mehr leisten als ihre Kommilitonen. In Teheran war sie auf eine deutsche Schule gegangen, ihr Deutsch war so perfekt und kalt wie alles an ihr perfekt und kalt war, auch wie sie sich kleidete, als sei sie das Bindeglied zwischen jenen Kulturen, die soeben in der heftigsten Weise im Unfrieden geschieden waren. Bei ihr lagen sich Moderne und Tradition in den Armen, wenn schon nicht Monarchie und Fundamentalismus. Jedenfalls war der Umstand, daß sie auf diese Reise mitging, für Cheng ausschlaggebend. Mit Bauchweh freilich, aber er schloß sich an und machte aus einer fünfköpfigen Partie eine sechsköpfige. (Somit konnte also die Behauptung aus einem der Cheng-Romane, Markus Cheng sei als junger Mann niemals weiter als bis nach Griechenland gekommen, nicht stimmen, allerdings sollte die Reise nach Madeira eine Ausnahme bleiben.)
An einem etwas milchigen, aber nicht nebeligen Sommernachmittag landete der Flieger auf jener berühmtberüchtigten Landebahn, kam allerdings einwandfrei zu stehen. Cheng konnte dennoch nur den Kopf schütteln ob der eigenen Dummheit, sich an einen solchen Ort zu begeben, wo nicht einmal Platz war für einen gescheiten Flughafen, erst recht nicht für einen gescheiten Strand, so steil war hier alles, kaum eine Stelle, an der man seine Beine ins Meer halten konnte. Was mehr als bedauerlich war, weil die Temperaturen
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